15 Januar 2013

Marica Bodrozic - Kirschholz und alte Gefühle - Lesen macht klug und schoen 882

Von den Rissen in unserem Bewusstsein. Von den Rissen in der Welt.
Marica Bodrozic - Kirschholz und alte Gefühle
Roman



Luchterhand Literaturverlag, München 2012
ISBN 9783630873954
19,99 EUR
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Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien hat die junge Arjeta ihrer Heimat beraubt. Als sie bei einem Umzug alte Fotos findet, begreift sie mit einem Mal vieles, was ihr über ihre eigene Lebensgeschichte lange im Dunkeln geblieben war. So geht Arjeta noch einmal den Rissen in ihrem Bewusstsein, in ihrem Leben nach – und den Rissen in der Welt.
Von vielem kann Arjeta Filipo sich trennen, vom Tisch ihrer Großmutter aber nicht. Jetzt sitzt sie an diesem Erbstück in ihrer neuen Berliner Wohnung und breitet darauf Fotos aus, die ihr beim Umzug in die Hände fallen. Die Erinnerungen steigen in ihr auf, als würde das Kirschholz alle Geschichten preisgeben, deren Zeuge der Tisch im Laufe der Jahre geworden ist.

Da sind die belagerte Stadt und das Istrien, das Meer ihrer Kindheit und Jugend, ihre alles ändernde Flucht Anfang der 90er Jahre. Aber da ist vor allem auch ihre Zeit in Paris, wo sie Philosophie studierte und in einer neuen Sprache ein neues Leben begann – zusammen mit dem Maler Arik, in den sie sich wider Willen verliebt. Der Vogelkundler Mischa Weisband wird ihr weiser Vertrauter, die Physikerin Nadeshda ihre engste Freundin. Beide Frauen verbindet und trennt ein Geheimnis, das über Jahre hinweg nur Arik kennt. Erst als sich beide den blinden Flecken in ihrem Inneren stellen, gelingt es ihnen, den Weg zur Wahrheit zu finden.

Eindrucksvoll erzählt Marica Bodrožic von Menschen, die Halt suchen in einer Welt voller Risse. Und die sich ihrer lange verdrängten Vergangenheit und den Zerrspiegeln ihrer Erinnerung stellen müssen – wenn sie wirklich im Hier und Jetzt leben wollen.

Marica Bodrožić

Marica Bodrožić wurde 1973 in Svib/ Dalmatien, dem heutigen Kroatien geboren. Sie lebt seit 1983 in Deutschland und schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien, darunter den Förderpreis für Literatur von der Akademie der Künste in Berlin und den Kulturpreis Deutsche Sprache. Marica Bodrožić lebt als freie Schriftstellerin in Berlin.



Hingewiesen sei hier auch noch einmal auf Marica Bodrozics hochgelobter Roman "Kirschholz und alte Gefühle", den wir schon im letzten Bücherbrief empfohlen haben. Es ist der zweite Teil einer Romantrilogie die vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege, von Menschen erzählt, die wieder in einen Alltag finden wollen - und sei es im Exil in Paris. Hier eine Leseprobe.


Marica Bodrožic liest aus "Kirschholz und alte Gefühle"




Presse:

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.02.2013
Der zweite Teil der Romantrilogie von Marica Bodrozic überzeugt Karl Markus Gauß, wie schon der erste, durch reine Poesie, intensive Bilder und eine stimmige Atmosphäre. Komplexer und kühner als der erste Teil erzählt der Text Gauß von Jugoslawien und der Bedeutung des Exils für eine junge Frau, deren Kindheitserinnerungen für sie Lebensgrundlage sind. Dass der Roman mit seinen vielen Figuren und Schauplätzen dem Leser, wie Gauß einräumt, einiges an Konzentration abverlangt, nimmt der Rezensent gerne hin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2013
Ganz hingerissen ist Rezensent Andreas Platthaus von dem nun unter dem Titel "Kirschholz und alte Gefühle" erschienenen zweiten Teil von Marica Bodrozics Romantrilogie. Noch intensiver als der Vorgänger "Das Gedächtnis der Libellen" erscheint dem Kritiker dieses Buch der kroatischen Schriftstellerin, die hier die aus Sarajevo geflohene Arjeta in den Vordergrund stellt. Gebannt begleitet Platthaus die junge Frau sieben Tage lang, in denen sie eine neue, fast leere Wohnung in Berlin bezieht und im Kampf gegen ständig wiederkehrende Bewusstseinslücken versucht, sich an ihren Weg von Sarajevo nach Berlin und ihre Liebe zu dem Maler Arik zu erinnern. Voller Bewunderung liest der Rezensent, wie es der Autorin gelingt, bildgewaltig und mit rhetorischer Experimentierfreude gegen das Vergessen ihrer Protagonistin anzuschreiben. Und so lobt er dieses meisterhafte Buch als "subtiles Selbstvergewisserungsvorhaben", das fernab vom Krieg in Bosnien auch Raum für "sentimentale" Gefühle lässt.


Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.01.2013
Marica Bodrizic' neuer Roman "Kirschholz und alte Gefühle", der nach "Das Gedächtnis der Libellen" nun als zweiter Teil einer Trilogie erschienen ist, beweist Rezensentin Carola Ebeling einmal mehr das Talent der kroatischen Autorin für Bilder von beeindruckender Intensität und einen gewagten Erzählstil von eigentümlicher Schönheit. Erneut trifft sie hier auf die vierzigjährige Arjeta, die im letzten Roman als Freundin der Hauptfigur Nadeshda nur eine Nebenrolle spielte und nun nach zahlreichen Reisen zwischen Umzugskartons in ihrer neu bezogenen Berliner Wohnung mit Kindheitserinnerungen konfrontiert wird. Fasziniert verfolgt die Rezensentin, wie sich Brodrozic' Protagonistin in "berührenden Momentaufnahmen" nicht nur den gewaltsamen Kindheitserlebnissen während des Krieges in Sarajevo nähert, sondern sich auch an ihre Freundschaften und Liebesbeziehungen aus ihrer Pariser Studienzeit erinnert. Ein wunderbares Buch über Vergänglichkeit, Träume, Sprache und Abschiede, das meisterhaft die Verbindung zwischen Erinnerungen und den Reflexionen darüber vollzieht, lobt die hingerissene Kritikerin.


"Schwebend, magisch und dennoch von leuchtender Präsenz sind ihre Sätze. Sie zielen auf Wesentliches. Die Autorin will mit ihren Figuren der Wahrheit menschlicher Existenz auf die Spur kommen."
Carsten Hueck / Deutschlandradio Kultur (05.11.2012)

„Zurück bleibt ein staunender Leser, der sicher noch einmal blättern wird, weil man von der einen oder anderen Textstelle nicht genug bekommen kann“,
Mirko Schwanitz / BR-Bayern2 (22.09.2012)

"Marica Bodrožić hat abermals eine einprägsame Melodie für die Migration zwischen den Sprachen und Kulturen gefunden. Mit den Büchern dieser deutschen Schriftstellerin aus Dalmatien (...) sehen wir das Vertraute neu, das Gewohnte anders."
Michael Braun / Kölner Stadt-Anzeiger (09.11.2012)

"Marica Bodrožićs Sprache ist sehr lyrisch, ab und zu auch mal pathetisch und nostalgisch"
Jeannette Villachica / Darmstädter Echo (24.09.2012)

"Ein großartiges Buch, das den grausamen Hintergrund mit der Gegenwart der Erzählerin stilistisch perfekt verknüpft und in all seinen Facetten ausleuchtet."
Susanne Alge / Buchkultur (01.12.2012)

"Es gehört zu den großen Verdiensten von Marica Bodrožić, dass Dalmatien heute auf der Landkarte der deutschsprachigen Literatur verzeichnet ist."
Jan Röhnert / Der Tagesspiegel (07.10.2012)

"Hier schreibt jemand mit außergewöhnlichem Sprachempfinden, mit besonderem Blick auf die Welt, klug, klar und poetisch zugleich"
Carsten Hueck / ORF Ex Libris (28.10.2012)

"Nicht viele Autoren erzählen ihre Geschichten mit solch einer Leidenschaft wie Marica Bodrožić."
Susann Fleischer / www.literaturmarkt.info (29.10.2012)


Audio: DRadio: Auf der Suche nach dem Vergessen
"Arjeta aus Sarajevo ist auf der Suche nach ihrer inneren Mitte. In Berlin lebend erinnert sie sich an das Zerbrechen ihrer Familie, an den Tod der Brüder bei einem Bombenangriff, an eine gescheiterte Liebe. Am Ende macht sie ihren Frieden. Die Spannung aus Sprache und Stille, die Reibung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Atem des Lebens, durchzieht den Roman von Marica Bodrozic. Ein ganz eigener Ton entsteht durch die Berührung von Konkretem mit Metaphysischem. Schwebend, magisch und dennoch von leuchtender Präsenz sind ihre Sätze. Sie zielen auf Wesentliches. Die Autorin will mit ihren Figuren der Wahrheit menschlicher Existenz auf die Spur kommen."Besprochen von Carsten Hueck
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1912158/



Interview: Marica Bodrožić über Erinnerungen. Veröffentlicht am Oktober 4, 2012: 
Klappentexterin: Das Gedächtnis und die Erinnerung sind zwei tragende Themen in Ihrem Roman „kirschholz und alte gefühle“. Was hat Sie zu ihnen geführt?
Marica Bodrožić: Die Frage nach dem Wirken des Lebens, die Frage nach der Struktur der Erinnerung und vor allem auch der Wunsch, eine Möglichkeit zu finden, die Beschriftungen, die im Gedächtnis immer unbeobachtet und unsichtbar vor sich gehen, zu ergründen. Meine Erzählerin Arjeta stellt sich an sieben Tagen ihrem ganzen Leben. Sie lernt, dass in der Durchschreitung ihres inneren Archivs die Möglichkeiten von Verlust und Gewinn nah beieinander liegen. Sie muss sich erinnernd ihres Lebens vergewissern, um es dann loszulassen. Wir verlieren ein altes Ich, um ein neues zu gewinnen. Dieses Neue ist die Freiheit, der Mensch zu werden, der man ist, ohne die alten Koffer aus der Vergangenheit. Jeder Mensch hat diese Koffer. Die Koffer haben keinen Pass. Kein Leben hat einen Pass, höchstens einen Kompass – und dieser schlägt hier und dort aus, manchmal scheinbar so, wie es ihm beliebt. Ganz altmodisch gesprochen: das Schicksal ist ein autonomer Mathematiker. Die Liebe ist es auch. Gerade die Liebe zu Arik, die aus Reibungen und der Sehnsucht besteht. Aber auch das ist Liebe, sie hat einen eigenen Verstand. Die meisten Menschen stellen sich Liebe einfach vor, es stimmt ja auch, die richtige große Liebe ist am Ende immer einfach. – Aber diese Einfachheit stellt einen auch vor Herausforderungen und ist wieder eine andere Geschichte.
http://klappentexterin.wordpress.com/2012/10/04/marica-bodrozic-uber-erinnerungen/

Zitat zum daily book heute:
Und wenn ich ganz streng sein wollte, müsste ich sagen, der Zufall ist nur etwas für Feiglinge. Lebendig wird nur etwas, das beseelt ist von Erfahrung. Nichts in diesem Buch habe ich je so erlebt, aber alles ist irgendwie biographisch, ich zähle zum Biographischen auch das Denken, ich bin ja mein Denken, mein Tasten, mein Fragen – aber dennoch haben sich aus vielen Zufällen, also dem, was mir zugefallen ist, viele mich selbst überraschende Dinge ergeben.
Marica Bodrozic


Marica Bodrožic liest aus "Das Gedächtnis der Libellen"







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