28 Oktober 2011

Lesen macht klug und schoen 499 - Michela Murgia - Accabadora und Camilla im Callcenterland

»Eine Welt, in der man verloren wäre, wenn einem nicht Murgias Ironie, ihr
Charme und ihre Grausamkeit zu Hilfe eilen würden.«
Pietro Cheli, Diario


Camilla im Callcenterland

Wagenbach Verlag
ISBN 978-3-8031-2667-2

9,90 €
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Eine amerikanische Staubsaugerfirma mit den Geschäftsmethoden einer Sekte: Michela Murgia schildert ihre Erfahrungen als Angestellte eines Callcenters.Ehe Michela Murgia zur gefeierten Romanautorin (Accabadora: 40.000 verkaufte Exemplare) wurde, verschlug es sie unter anderem in ein Callcenter, wo sie am Telefon überrumpelten Hausfrauen Kirby-Staubsauger verkaufen sollte. Dass Callcenter zu den prekärsten Arbeitsplätzen gehören, ist bekannt – Murgia beschreibt ihren sadistischen Alltag aber aus eigener Erfahrung: die stereotypen Telefonsätze, die halbseidenen Werbestrategien, die Hierarchien innerhalb der Firma und die billigen Motivationstechniken, mit denen zuerst die jungen Telefonistinnen und dann die möglichen Kundinnen der Firma auf den Leim gehen sollen. Alles höchst amüsant – freilich fügt Murgia in einem Nachwort hinzu, dass sie selbst kein bisschen darüber lachen kann. Ihr Buch sei aus der Wut über diese unwürdigen Arbeitsverhältnisse entstanden, und als Zeugnis dieser Wut möchte sie es verstanden wissen: eigentlich kein Roman, sondern ein Exorzismus.
 

Michaela Murgia - Accabadora


Wagenbach Verlag
ISBN 978-3-8031-3226-0
17,90
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„Dieser Roman hat mich tagelang beschäftigt. Er ist ungeheuer faszinierend.“ Amelie Fried - 
„Eindeutig ein gutes Buch!“  Ijoma Mangold, ZDF, Die Vorleser


Eine Geschichte über Mutter und Tochter, wie sie noch nie erzählt worden ist. Ein Roman, in dem das archaische und das moderne Italien aufeinandertreffen.
Wie Mutter und Tochter leben Bonaria Urrai und die sechsjährige Maria zusammen. Die Bewohner des sardischen Dorfes sehen den beiden verwundert nach und tuscheln, wenn sie die Straße hinunterlaufen. Dabei ist alles ganz einfach: Die alte Schneiderin hat das Mädchen zu sich genommen und zieht es groß, dafür wird Maria sich später um sie kümmern.
Als vierte Tochter einer bitterarmen Witwe war Maria daran gewöhnt, »die Letzte« und eine zu viel zu sein. Nun hat sie ein eigenes Zimmer in dem großen reinlichen Haus Bonarias, wo alle Türen offen stehen und sie jeden Raum betreten darf. Doch ein Geheimnis umweht die stets schwarz gekleidete, wortkarge Frau, die mitunter nachts, wenn Maria schlafen soll, Besuch erhält und dann das Haus verlässt. Es scheint, als würde Bonaria in zwei Welten leben. Das Mädchen spürt, dass sie nicht danach fragen darf. Erst sehr spät entdeckt sie die ganze Wahrheit.
Michela Murgia erzählt in einer schnörkellosen, poetischen Sprache aus einer scheinbar fernen, doch kaum vergangenen Welt. Von zwei Generationen, zwei Frauenleben, von einem alten, lange verschwiegenen Beruf. Dieser Roman ist sinnlich, radikal und verblüffend gegenwärtig.
Dabei ist alles ganz einfach: Die alte Schneiderin hat das Mädchen zu sich genommen und zieht es groß, dafür wird Maria sich später um sie kümmern. Als vierte Tochter einer bitterarmen Witwe war Maria daran gewöhnt, "die Letzte" und eine zuviel zu sein. Nun hat sie ein eigenes Zimmer in dem großen reinlichen Haus Bonarias, wo alle Türen offen stehen und sie jeden Raum betreten darf. Doch ein Geheimnis umweht die stets schwarz gekleidete, wortkarge Frau, die mitunter nachts, wenn Maria schlafen soll, Besuch erhält und dann das Haus verlässt. Es scheint, als würde Bonaria in zwei Welten leben. Das Mädchen spürt, dass sie nicht danach fragen darf. Erst sehr spät entdeckt sie die ganze Wahrheit.
Aus dem Italienischen von Julika Brandestini.


 Michela Murgia

Michela Murgia, geboren 1972 in Cabras (Oristano), studierte Theologie und unterrichtete Religion. 2006 arbeitete sie einige Zeit in einem Callcenter. Nach mehreren Jahren in Mailand lebt sie nun wieder in Sardinien. 2010 erhielt sie den Premio Campiello für ihren Roman Accabadora, der im gleichen Jahr bei Wagenbach auf Deutsch erschien.

„Es saugt und bläst der Heinzelmann,wo Mutti sonst nur blasen kann“, ein Loriot-Zitat aus einem seiner wohl bekanntesten Sketche. Heute im Callcenter-Zeitalter gibt es sie immer noch, doch weitaus weniger individuell und amüsant. Sie werden von der Autorin des Buches „Camilla im Callcenterland“ „Sharks“ genannt, denn haben sie die Kundin einmal in ihren Fängen, lassen sie so schnell nicht wieder los. Sie wollen das amerikanische Staubsaugermodell Kirby an die Hausfrauen bringen. Ein lärmendes Ungetüm, das weder die Werbung noch den hohen Preis verdient.
Doch bevor je ein Kirby Einlass in die Wohnstuben der möglichen Kunden findet, werden die Hausfrauen von den Telefonistinnen am Telefon überrumpelt. Jeder hat sicher schon einmal mehr oder weniger schlechte Erfahrungen mit solchen Anrufen gemacht. Blickt man aber hinter die Kulisse, eröffnet sich ein geradezu sadistischer Arbeitsalltag. Jede Telefonistin erhält ein mit psychologischen Tricks und Motivationstechniken gespicktes Kurztraining. Wettbewerb und Konkurrenzdenken unter den Kolleginnen werden durch Druck und Prämien angestachelt. Und alle wissen um die betrügerischen Ratenzahlungsmöglichkeiten, die sich die Geschäftsführung ausgedacht hat – Geschäftsmethoden einer Sekte. Alles in allem kein angenehmer Arbeitsplatz und nur wenige halten lange durch.

Ehe Michela Murgia zur gefeierten Romanautorin (»Accabadora«: 40.000 verkaufte Exemplare) wurde, verschlug es sie unter anderem in ein Callcenter, wo sie am Telefon überrumpelten Hausfrauen Kirby-Staubsauger verkaufen sollte.
Dass Callcenter zu den prekärsten Arbeitsplätzen gehören, ist bekannt Murgia beschreibt ihren sadistischen Alltag aber aus eigener Erfahrung: die stereotypen Telefonsätze, die halbseidenen Werbestrategien, die Hierarchien innerhalb der Firma und die billigen Motivationstechniken, mit denen zuerst die jungen Telefonistinnen und dann die möglichen Kundinnen der Firma auf den Leim gehen sollen.
Alles höchst amüsant freilich fügt Murgia in einem Nachwort hinzu, dass sie selbst kein bisschen darüber lachen kann. Ihr Buch sei aus der Wut über diese unwürdigen Arbeitsverhältnisse entstanden, und als Zeugnis dieser Wut möchte sie es verstanden wissen: eigentlich kein Roman, sondern ein Exorzismus. 




Kritik: Michela Murgia räsoniert nicht, sondern inszeniert in einer wortkargen, vitalen Sprache eine packende Geschichte, die in einer archaischen Umgebung spielt. "Accabadora" ist eine Perle anspruchsvoller Literatur.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.07.2010

Diese "eigenwillige Variante des Entwicklungsromans" hat Maike Albath gut gefallen, und Michaela Murgia trägt damit aus ihrer Sicht weiter zur gegenwärtigen Renaissance der sardischen Literatur bei. Seine Sogkraft bezieht das Buch für die Kritikerin aus den Schilderungen der zahlreichen heidnischen Gepflogenheiten der sardischen Kultur, die ihr "einem ursprünglicheren Verhältnis zu Leben, Tod und Leid" geschuldet zu sein scheinen. Beeindruckt schildert sie eindringliche archaische Bilder aus dem "erzählerischen Universum" des Romans. Bei der Schilderung der Geschichte ihrer ungewöhnlichen Heldin folge die Autorin dem Muster der mündlichen Erzählung, deren Hauptmerkmale für die Kritikerin viele "Wiederholungen, Elemente aus Legenden und eine bildhafte Sprache" sind.


Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2010: Reife attestiert Niklas Bender dieser Autorin. Wer derart abgeklärt, elegant und schlicht über das archaische Erbe Sardiniens zu schreiben vermag, meint Bender, der steht keinesfalls mehr am Anfang, auch wenn es sich bei diesem Roman von Michela Murgia um einen Erstling handelt. Ein wenig wundert sich Bender zwar, wie relativ heiter die Autorin ihre kleine Heldin, die sechsjährige Maria, in einem sardischen Dorf in den 50er Jahren mit dunklen archaischen Riten in Berührung kommen lässt und die so heikle wie zeitlose Frage nach dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben stellt. Weil es der Autorin so jedoch gelingt, Archaik nicht als Folklore, sondern als selbstverständlichen Teil eines Reifeprozesses zu zeigen, leuchtet es Bender schließlich ein.

Die Zeit, 18.03.2010: Betörend, aber auch "verstörend" findet Elisabeth von Thadden den Debütroman der sardischen Autorin Michaela Murgia. Die Geschichte um das Mädchen Maria, das an Kindesstatt von einer Frau aus dem Dorf aufgenommen wird, der es obliegt, als "Accabadora" die Alten des Dorfes dem Tod zuzuführen und die Kinder auf die Welt zu holen, spielt in den 1950er Jahren und pflegt einen märchenhaften Ton, erklärt die Rezensentin. Den archaischen Zuständen im Dorf aber wird mit der jugendlichen Maria eine klug reflektierende Stimme entgegengesetzt, die ihre Pflegemutter liebt, aber Stück für Stück ihre "Abgründe" aufdeckt, so die Rezensentin weiter. Nachgerade "beunruhigend" findet Thadden die naive Haltung der Männer des Dorfes, die sich der "tödlichen Weisheit" der Accabadora überlassen, und demgegenüber "berückend schön", wie sich das Mädchen von ihrer Umgebung emanzipiert.

Die Tageszeitung, 18.03.2010 : Zwischen "Krimi und Gedankenspiel" changiert der unheimliche und manchmal beklemmende Roman der gebürtigen Sardin Michela Murgia, schauert es Nina Apin. Schon die auf Brauchtum beruhende Beziehung zwischen der kinderlosen Schneiderin Bonaria Urrai und der jungen Maria, die als "Tochter des Herzens", man könnte es aber auch Altersversicherung nennen, adoptiert wird und Erziehung und Bildung genießt, mutet seltsam an. Bonarias zweiter, in der Dunkelheit ausgeübter Beruf tut es erst recht. Als Accabadora (als "Beenderin") hilft sie Sterbenden über die Schwelle zum Tod. Über diese Tätigkeit, die als "von der Gemeinschaft mitgetragener Akt der Barmherzigkeit" aufgefasst wird und zumindest in den Legenden und Sagen der Sarden noch in den fünfziger Jahren eine Rolle gespielt hat, kommt es zum Konflikt zwischen Maria und Bonaria. Die Autorin habe kein italophiles Wohlfühlbuch geschrieben, warnt die Rezensentin, sondern einen "harten Blick" auf eine archaische Kultur geworfen, "die in ihrer Kindheit noch von den Alten gelebt wurde".

Dies ist ein wunderbar runder, poetisch dichter Roman, der ergreifende Lebensgeschichten mit nichts weniger als existenziellen Problemen verwebt: Geburt und Tod, Handeln und Schicksal. Den Boden, auf dem sich all dies vollzieht, bilden die eigentümlich anmutenden Traditionen Sardiniens, die, gewachsen in Jahrhunderten der bitterarmen Hirtenkultur dieser "Insel, die man nicht sieht" (Teil des Titels eines anderen Buches der Autorin), nun auch die Menschen Sorenis, eines (fiktiven) Örtchens der Fünfziger, Sechziger Jahre, prägen.

Nur wenige Sätze benötigt die sardische Schriftstellerin Michela Murgia (geboren 1972)  in ihrem ersten Roman „Accabadora“, um genau dies Anderssein ihrer Landsleute zu beschreiben. Derer, die in Dörfern und kleinen Städten des Hinterlandes leben, wo noch die alten Bräuche herrschen - oder vielmehr herrschten. Das Buch spielt in den fünfziger Jahren, als das Archaische mit seiner eigenen Moral, die es verbietet, einige Dinge zu tun und andere nicht, genügte, um die kleinen Gemeinschaften zusammenzuhalten.

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