10 Juni 2012

Lesen macht klug und schoen 683 - Irena Brezna - Die undankbare Fremde

Irena Brežná trifft zweifellos einen menschlich-selbstverständlichen, politisch aber umso brisanteren Punkt in der aktuellen Integrationsdebatte.

Irena Brezna - Die undankbare Fremde
Roman

















Galiani Verlag Berlin, Berlin 2012
ISBN-13 9783869710525
16,99 EUR
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Tanz auf der Rasierklinge : 
»Meine Mutter ist stark wie eine Kakerlake«, sagte der Junge. »Eine Kakerlake zu Hause und eine in der Fremde ist nicht dasselbe«, meinte die Psychologin.
»Wir ließen unser Land im vertrauten Dunkel zurück und näherten uns der leuchtenden Fremde.« Im Jahr 1968 beginnt Irena Brežnás Roman, der auf engstem Raum Verletzung und Aufbegehren, Spott und Hohn, schwarzen Humor, Poesie, Menschlichkeit und Versöhnung vereint.

Die Erzählerin verschlägt es in die Schweiz, einen sicheren Hafen von bizarrer Saturiertheit, ein von Zäunen verstelltes Paradies voller Ordnungshüter und Kehrmaschinen – zu viel Widerspruch für ein Mädchen wie sie. Schon bei der Einreise wird ihr Name vom Grenzer verstümmelt. Ab dann muss sie gezwungenermaßen unter falscher Flagge segeln und vermisst im kalten, gleißenden Licht der Fremde die unfreie, schmuddelige Geborgenheit der Heimat. Als Heranwachsende rebelliert sie gegen das Gastland, das sie unter seine Regeln zwingt und sie nicht sie selbst sein lässt. Nach vielen Zusammenstößen findet sie einen Ausweg …

Wie Mini-Romane, Kondensate paradoxen Lebens, sind Szenen durch das gesamte Buch gestreut, in denen die Erzählerin als Dolmetscherin zwischen Emigranten und Behörden fungiert. Sie trifft auf eine Phalanx von Gestrandeten, die hoffen, etwas aus ihrem Leben machen zu können: Kleine Diebe, Depressive, Schlawiner, Kriegsflüchtlinge, Ausgebeutete, Überangepasste und Naive.

So ungeschützt und schonungslos gegen sich und andere hat noch keiner über die Emigration geschrieben – ein kleiner Roman mit großer Sprengkraft, ein Lebensbuch.



Die Schriftstellerin Irena Brežná

Irena Brezna, geboren 1950 in Bratislava, lebt seit 1968 in der Schweiz. Nach dem Studium der Slavistik, Psychologie und Philosophie arbeitete sie zuerst als Russischlehrerin und Psychologin. Als Koordinatorin von Amnesty International setzte sie sich 12 Jahre lang für die Freilassung sowjetischer politischer Gefangener ein. Heute lebt und arbeitet Brezna als freie Autorin.
Zitat: Meine Heldin erkennt, dass sie sich nicht dem Diktat beugen muss, sich zu integrieren. Dass sie sein darf, wie sie ist, und sich trotzdem für eine gute Bürgerin halten kann. Sie ist wie ich fremd. Diese Fremdheit ist etwas sehr Wichtiges. http://www.brezna.ch/about.html


Pressestimmen:


Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.12.2012
Beim Lesen wurde Hans-Peter Kunisch Zeuge einer Veränderung: Wie die in Bratislava geborene Schweizer Schriftstellerin Irena Brezna sich von der aneckenden Migrantin zur buchpreiswürdigen und selbst die Schweizer Eigenheiten verteidigenden Eidgenossin wurde. Kunisch weiß, die Schweizer lieben ihre Migranten wie nie, und erst recht Migrantenprosa, bei der sie sich "nicht ohne protestantische Selbstgeißelungslust" ihre eigene Sterilität zu Gemüte führen. Kunisch erklärt die Feinheiten: Brezna sei sprachlich gelenkiger als Abonji, weniger blumig als Florescu und schärfer im Ton als beide. Zu diesem Schluss kommt der Rezensent nach Lektüre der chronologischen Bekenntnisse Breznas über die bleierne Zeit in der Schweiz der 70er und über ihre spätere Arbeit als Dolmetscherin. So aufschlussreich der Text für Kunisch auch ist, so richtig aktuell scheinen ihm die "planen Gegenüberstellungen" von Schweizern hier, Immigranten dort, dann doch nicht zu sein.



Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.09.2012
Dramaturgisch eher uninteressant findet Jürg Altwegg den autobiografischen Essay der aus Tschechien stammenden Schweizerin Irena Brezna. Allerdings geht es darum nicht so sehr, wie Altwegg mitteilt. Vielmehr bietet ihm die Summe der scharf beobachteten und sprachlich klar gefassten Szenen ein spannend zu lesendes Porträt der Schweiz. Was die Journalistin Brezna, die laut Altwegg mit Ilma Rakusa und Melinda Nadj Abonji zu den großen Einwanderinnen der Schweizer Literatur gehört, aus der Auseinandersetzung mit ihrem Exil und ihren Erinnerungen an Beobachtungen und Vergleichen zwischen der alten und der neuen Heimat im Kalten Krieg zutage fördert, hat Altwegg in seiner Differenziertheit überzeugt.



Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.07.2012
Obwohl der Rezensentin Astrid Kaminski dieser schmale Band über einen Flüchtling aus der Tschechoslowakei sehr sympathisch ist - ganz uneingeschränkt empfehlen kann sie ihn nicht. Dafür zerfällt ihr das Buch zu stark in zwei nicht recht zusammenpassende Teile. Im ersten erzählt Irena Brezna von einer Tschechin, die es vor 1971 - Frauen dürfen noch nicht wählen - in die Schweiz verschlägt, wo sie offenbar mit allerlei unschönen Sitten konfrontiert wurde (Katzen füttern war ja sogar im Ostblock erlaubt!) Im zweiten Teil arbeitet die Erzählerin als Dolmetscherin in einer Ausländerbehörde, und auch hier zeichnet sie offenbar kein allzu freundliches Bild von den Schweizern. Leider, so Kaminski, geht das Verfahren auch sprachlich nicht ganz auf.http://www.perlentaucher.de/buch/irena-brezna/die-undankbare-fremde.html


Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.05.2012
Zwiespältig ist Sibylle Birrers Eindruck vom dritten Roman Irena Breznas, die darin auch eigene Emigrationserfahrungen verarbeitet, wie die Rezensentin erklärt. Wie ihre Protagonistin ist die Autorin achtzehnjährig mit ihrer Familie in den 1960er Jahren von der Tschechoslowakei in die Schweiz emigriert. Im Roman lässt sie ihre Hauptfigur intensiv mit den Erfahrungen der Emigration hadern, wobei sie ihr eine zweite Erzählerstimme zur Seite stellt, die zwischen den Kulturen zu vermitteln sucht, erklärt die Rezensentin. Gerade in dieser Teilung zwischen gefühlsgeladenem Erlebnisbericht und vermittelndem Kommentar macht Birrer den Reiz wie auch eine gewisse Irritation bei der Lektüre fest. Denn der steten "Reibung" der Hauptfigur an den Schweizer Eigenheiten gibt die Kommentarstimme zwar "aufwühlende Aktualität", zugleich aber führt sie vor Augen, wie stark die Hauptfigur ihrer ablehnenden Haltung verhaftet ist, die sie erst ganz zum Schluss und dann für die Rezensentin nicht ganz plausibel aufgibt. Birrer hat durchaus schillernde Sätze in diesem Roman gefunden, in denen sie sich als Schweizerin erkannt und vielleicht auch entlarvt sieht. Zunehmend aber wird ihr das Pochen auf das "Recht aufs Fremd- und Anderssein", das die Protagonistin betreibt, zu plakativ und insistent, und sie hätte sich gerade für die aktuelle Debatte um Integration eine weniger starre Haltung der Hauptfigur gewünscht.

»Sie brauchte Jahrzehnte, um dieses Buch schreiben zu können. Jetzt ist es da. Und es wird die Migrationsdebatte in der Schweiz verändern. (…) Es ist die brillant geschriebene Geschichte einer Identitätsfindung zwischen Anpassung und Widerstand. So schonungslos, wütend und erkenntnisreich hat noch nie eine hiesige Migrantin über ihr Dasein in der Fremde geschrieben.« Peer Teuwsen, DIE ZEIT

»Irena Brežná trifft zweifellos einen menschlich-selbstverständlichen, politisch aber umso brisanteren Punkt in der aktuellen Integrationsdebatte.« NZZ

»„Aber ich bleibe eine Nomadin”, lächelt Irena Brežná, die ihrer Fremd-Heimat Schweiz mit ihrem Buch nun das Dokument einer Auseinandersetzung geschenkt hat, wie sie sich leidenschaftlicher nicht denken lässt.« Aargauer Zeitung

»In den Jahren, als Irena Brezna in die Schweiz kam, galt der Slogan Das Private ist politisch. Man könnte ihn noch weiterführen: das Politische ist persönlich. Dieses Buch ist beides. Und dafür muss man der Autorin, die ihre Fremdheit souverän bis heute hochhält, dankbar sein.« Basler Zeitung

» Die undankbare Fremde ist ein Roman. Das gilt es zu betonen. Breznás Buch arbeitet pointiert eine kritische Sicht heraus. Es taugt somit nicht zum Skandal. Auch die Erzählerin neigt am Ende zur Versöhnlichkeit mit der neuen Heimat. Nur eines will sie sich auch dann nicht nehmen lassen: das Recht auf Fremdheit. Dieses Recht ist unabdingbarer Teil einer besseren Welt.« Schweizerische Depeschen Agentur

»Den glänzend geschriebenen, oft sehr komischen autobiografischen Text unterbricht die Autorin Irena Brežná gelegentlich: mit Erlebnissen, die sie als Übersetzerin von Asylsuchenden in der Schweiz und den zuständigen Behörden hat. Diese beiden Textstränge ergänzen sich zu einem eindrucksvollen Bild der Schweiz und der Immigration in dieses reiche Land.« 20 Minuten

»Die Schärfe der erinnerten Beobachtung führt immer wieder zu trefflichen Formulierungen. Mit ihren pointierten Sätzen und ihrer auftrumpfenden Haltung hat Irena Brežná einen eigenen Platz in der mittlerweile dicht besetzten «Ankunft in der Schweiz»-Literatur gefunden.« Martin Ebel, Tages-Anzeiger und Der Bund

» Die undankbare Fremde hat eher essayistischen Charakter. Ironisch hält sie darin den freundlichen, ordentlichen, bescheidenen und demokratischen EidgenossInnen den Spiegel vor, der nicht immer ein schmeichelhaftes Bild zurückwirft.« Wochenzeitung

»Als interkulturelle Vermittlerin trägt sie mit ihrem Roman außergewöhnliche und bedenkenswerte Aspekte zur Diskussion ums Thema Migration bei, weshalb ihrem Buch eine große Verbreitung zu wünschen ist.« Flensburger Tageblatt

» Die undakbare Fremde ist der brisanteste Roman über die Schweiz dieses Frühjahrs. Noch nie wurden mit solcher Schärfe schweizerische Eigenheiten und Umgangsformen auf den Punkt gebracht.« Solothurner Literaturtage

Bücher von Irena Brezna bei Lillemors: 


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1 Kommentar:

  1. Das hört sich doch mal nach einen interessanten Roman an, der mit seinem Themengebiet aktueller nicht sein kann. Vor allem da die Autorin an ihren eigenen Migrationshintergrund anknüpft, doch ohne, wie sie selber sagt, autobiographische Elemente.

    Interview mit Irena Brezná

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