Hannelore Schlaffer - Die intellektuelle Ehe
Der Plan vom Leben als Paar
Carl Hanser Verlag, München 2011
ISBN-13 9783446236547
18,90 EUR
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Heute ist dieses Experiment längst zum "Lebensstil" geworden, und "die intellektuelle Ehe ist in die serielle Monogamie übergegangen". Höchste Zeit also, sich auf die Vorläufer zu besinnen, vielleicht ja auch aus deren Konzepten und Fehlern zu lernen.
Getrennt wohnen oder zusammen, mit oder ohne Kinder, gegenseitige Treue oder offene Beziehung - dass Paare heute über all dies gleichberechtigt verhandeln können, hat eine heroische Vorgeschichte. Eine Avantgarde von Lebensreformern aus Soziologie, Psychologie und der Kunst stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die traditionelle Ehe in Frage und entwarf eine neue Form des Lebens als Paar. Hannelore Schlaffer verfolgt die Debatten - von der Schwabinger Boheme bis zu dem illustren Verhältnis zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. In ihrer Schilderung geglückter und misslungener Versuche ist ein Entwurf der modernen Ehe entstanden, der Denkstoff für alle ist, die sich auf ein Leben als Paar einlassen.
Hannelore Schlaffer, geboren 1939, lehrte bis 2001 Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Freiburg und München. Heute lebt sie als Essayistin und Publizistin in Stuttgart. Hannelore Schlaffer ist Mitherausgeberin der Hebel-Ausgabe bei den Hanser Klassikern. Seit 1980 schreibt Hannelore Schlaffer Essays, Literatur- und Theaterkritiken für verschiedene Zeitungen (Stuttgarter Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Neue Züricher Zeitung) und für Rundfunkanstalten.
Zahlreiche kulturkritische Essays erschienen in den Zeitschriften "Freibeuter", "Neue Rundschau", "Merkur", "Sinn und Form", "Du". Die Germanistin, Literaturkritikerin und Mitherausgeberin der Hebel-Ausgabe bei den Hanser Klassikern, lebt in Stuttgart.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.2011
Sehr eingenommen zeigt sich Constanze Neumann von Hannelore Schlaffers Essay über das Leben als Paar in den letzten beiden Jahrhunderten. Das ansprechende Buch führt ihr kundig vor Augen, wie sich Liebes- und Eheangelegenheiten in den letzten zweihundert Jahren - von der traditionellen Ehe über die Idee einer Verbindung von Liebe und Ehe bis zum Konzept der freien Ehe - gewandelt haben. Deutlich wird ihrer Ansicht nach auch, welche Rolle die Literatur und später der Film bei der Ausbildung eines modernen Verständnisses von Ehe und Liebe gespielt haben. Dass mit der zunehmenden Freiheit auch die Gefahr des Scheiterns wuchs, scheint eine Einsicht, die bei der Lektüre des "eleganten Essay" nicht ausbleibt.Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.06.2011
Das von Hannelore Schlaffer in diesem Buch erforschte Konzept der intellektuellen Ehe, das heißt eines einem Entwurf folgenden Zusammenlebens (hier meist literarisch tätiger) Partner mit größtmöglichen Freiheiten für beide, hat das Experiment Partnerschaft für Sabine Fröhlich nicht weniger langweiliger werden lassen. Fröhlich verweist auf den postreformatorischen Stand der Dinge, die Scheidungsquote. Übrigens auch auf die von Schlaffer erwähnten "Opfer" der Libertinage, etwa, dasjenige der ihre Bedürfnisse zaghafter ausagierenden Frauen in den Beziehungen von Brecht und Weigel, Max Weber und Marianne Schnitger. Ganz so gleich wie gewünscht gestaltete es sich also nicht, erkennt die Rezensentin und anerkennt die enorme emotionale Kraftanstrengung und vor allem die Bereitschaft zu scheitern. Der Versuch, heißt das wohl, zählt in diesem Fall.Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.04.2011
Am Ende vermag Kristina Maidt-Zinke nicht zu sagen, ob die Geschichte der intellektuellen Ehe heute als Erfolg zu sehen ist oder nicht. Bis dahin aber hat Hannelore Schlaffer die Rezensentin blendend und auf hohem Niveau unterhalten, wie es scheint. Schlaffer gibt den Erfahrungsbericht über die Ehe zwischen geistig tätigen Menschen, wie Zinke es umschreibt, eins der großen Projekte der Moderne in Absetzung von der Liebesheirat, in verschieden gewichtenden Abschnitten. Mal, so Zinke, dient die Romankunst des 19. Jahrhunderts mit Fontane als Maßstab, mal die Beziehung von Sartre und Beauvoir. Unterwegs vergegenwärtigt ihr die Autorin die um das Thema schwelenden Debatten und die unterschiedlichen Beweggründe (echter Reformwille oder Größenwahn) der Akteure. Bei den literarischen Belegen gelingt es Schlaffer, die Rezensentin mit dem ein oder anderen Schatz zu überraschen, immer verschafft die Engführung von Realität und Fiktion der Rezensentin Erkenntnisgewinn.
Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2011
So ganz glauben mag Rezensent Adam Soboczynski nicht mehr an die Verheißungen der intellektuellen Ehe, aber dankbar ist er ihren Pionieren doch dafür, dass sie ihr ein "Meer von Möglichkeiten" eröffnet haben. Er selbst hält ihre Experimente allerdings eher für gescheitert als geglückt, bei Helene Weigel und Bertolt Brecht spricht er nur noch von einer "Arbeitsbeziehung", bei der die Frau am Erfolg des Mannes mitarbeiten musste, bei Marianne und Max Weber sieht er als Ergebnis der Eheexperimente vor allem große und schwere Trümmer. Es wird jedoch nicht klar, ob dies auch die Autorin Hannelore Schlaffer so sieht, über ihr Buch und was er ihm entnommen hat, sagt Soboczynski kaum etwas. Sehr deutlich wird nur, dass Soboczynski Schlaffers "mit merklich nervösem Duktus" beschriebene Bewunderung für das Paar Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre nicht teilt.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2011
Dies ist keine Anleitung zum Glücklichsein zu zweit, das schickt Rezensentin Christine Pries ihrer Besprechung voraus. Schnell stellt sie fest, dass Hannelore Schlaffer ein sehr kluges Buch über das Konzept der intellektuellen Ehe verfasst hat, das sein Material langsam entdeckt und durchdringt. Vor den Leseraugen entsteht so das Bild einer Beziehungsart mit Schwerpunkt auf einem gleichberechtigten geistigen wie körperlichen Leben. So weit die Theorie. Welche Störfälle das Experiment mit sich brachte, lernt Pries bei Schlaffer sehr genau: Die Erotik ging flöten, und am Ende war es doch die Frau, die die höheren Kosten zu tragen hatte. Wie mühsam das Projekt im Einzelnen war, zeigt die Autorin Pries anhand verschiedener Quellen, ohne systematisch zu werden, aber doch anregend genug, dass die Rezensentin das Buch gerne liest.
Heiraten mit Köpfchen - Hannelore Schlaffer: "Die intellektuelle Ehe", Hanser Verlag, München 2011, 224 Seiten
Gegenentwürfe zur althergebrachten Versorgungsehe gibt es seit der Französischen Revolution. Die Autorin hat sich in der Geistes- und Literaturgeschichte nach erfolgversprechenden Beziehungsmodellen umgeschaut.
Als Versorgungsinstitution hat sie ausgedient, unauflösbar ist sie auch längst nicht mehr, trotzdem wird sie von drei Viertel der jungen Menschen angestrebt: die Ehe. Die heutigen Voraussetzungen für eine gelungene Ehe haben einst radikale Reformer aufgestellt: gemeinsame Interessen, Gleichberechtigung, Berufstätigkeit beider Partner - und Liebe als Hochzeitsgrund. Wobei - schreibt Hannelore Schlaffer - das ein Gefühl mit langer Tradition, aber geringer Zuverlässigkeit ist. Die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Schlaffer ist der intellektuellen Ehe auf der Spur, einem der großen Projekte der Moderne. Heute ist dieses Experiment längst zum "Lebensstil" geworden, und "die intellektuelle Ehe ist in die serielle Monogamie übergegangen". Höchste Zeit also, sich auf die Vorläufer zu besinnen, vielleicht ja auch aus deren Konzepten und Fehlern zu lernen. Schließlich braucht es für eine glückliche Ehe nicht nur, wie man von Loriot weiß, eine, die ein bisschen blind und einen, der ein bisschen taub ist. Geschichtsbewusstsein kann nicht schaden, auch wenn die "Geschichte der intellektuellen Ehe, nicht gerade eine Geschichte des Glücks" ist.
Gegenentwürfe zur althergebrachten Ehe gab es seit der französischen Revolution. Die Autorin verfolgt in ihrem klugen Buch romantische Vorläufer wie Friedrich Schlegel und dessen Schwägerin Caroline Schlegel-Schelling, porträtiert den Heidelberger Kreis um Max und Marianne Weber ebenso wie die Münchner Bohème Anfang des 20.Jahrhunderts. Und natürlich widmet sie ein umfangreiches Kapitel dem Paar, das den Umschlag ziert und das paradigmatisch für eine intellektuelle Verbindung steht: Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre.
Deren Vertrag auf lebenslange, aber nicht sexuelle Treue war lange Vorbild für eine Paarbindung der freiwilligen Art. Dass das nicht nur harmonisch ablief, dass vor allem die anderen Liebespartnerinnen und -partner darunter litten, das weiß man spätestens, seit die beiden Philosophen gestorben sind, und seit der Veröffentlichung des Briefwechsels der beiden Heroen. Hannelore Schlaffer interessiert sich hier jedoch weniger für die Opfer als für die Konstruktion dieses Liebespaktes - ebenso wie sie Bertolt Brecht und dessen "intellektuelle Polygamie" vor allem unter Funktionsgesichtspunkten betrachtet.
Spannender sind die Kapitel über den Heidelberger Kreis um Achim von Arnim und Clemens Brentano während der Romantik. Die Leidenschaften, die dort kursierten, führten das Programm der partnerschaftlichen Ehe an die Grenzen. Denn offenbar war es leichter, dass "zwei Köpfe zusammenpassten als zwei Körper". Eifersucht und Untreue waren nur da unproblematisch, wo Ehen nicht aus Liebe, sondern aus Konvention geschlossen wurden. Die Aristokratie brauchte deswegen keine neuen Ehe-Modelle. Vita Sackville-West etwa, die - auch erotische - Freundin Virginia Woolfs, musste sich nicht damit herumschlagen. Die bürgerlichen Reformer und ihre Nachfahren hatten es schwerer.
Neben den realen Paarmodellen sind vor allem auch die literarischen aufschlussreich. Deswegen bekommt man in diesem materialreichen Band auch viele Lektüre-Hinweise und -Interpretationen: Fontanes Roman "L'Adultera', George Elliots 'Middlemarch", nicht zu vergessen die Ehestiftungsgeschichten der Jane Austen. Schließlich muss man erst einmal den Richtigen oder die Richtige finden, um das Ehe-Experiment zu wagen. Besprochen von Manuela Reichart
Die intellektuelle Ehe oder Wer mit wem schlief
Leidenschaft in Gedanken: Hannelore Schlaffer spürt den Liebesbeziehungen der Intellektuellen nach – und entdeckt ein Rätsel der Moderne.
Woran liegt es, dass die Intellektuellenpaare des letzten Jahrhunderts nicht verknöchert wirken, sondern bis heute anziehend, verrucht und ein wenig gefährlich in ihrem Glück? Ob man nun an die offene Beziehung von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir im Paris der Nachkriegszeit denkt, an die stürmische Affäre zwischen Martin Heidegger und seiner Studentin Hannah Arendt in Marburg oder die avantgardistische Amour fou der Anaïs Nin mit Henry Miller:
Das rasche Streichen einer Frauenhand über einen Männerarm und der kurze Blick zwischen beiden erzählen von einer Intimität, die deswegen so intensiv wirkt, weil sie zwischen zwei Liebenden besteht, die denken. Jene Art von Menschen, die ihr Leben nicht einfach lebt, sondern reflektiert, bis alles zur Debatte steht bis hin zu der Frage, warum sie miteinander schlafen, wie, wo und wann.
Pläne vom Leben als Paar
Die Haltung unserer Intellektuellen zur Liebe ihre unerfüllten Sehnsüchte, lockeren Bettgeschichten und ernsten Bekenntnisschwüre – erzählt von den Wünschen unserer Kultur, jenen utopischen Vorstellungen, wie eine Gemeinschaft aussehen könnte. Dass ein Zusammenhang zwischen den Liebesbeziehungen einzelner und der Gesellschaftsordnung im Ganzen besteht, ist nichts Neues, zumindest nicht in Ländern wie Frankreich.
Bei uns allerdings hat bislang kaum einer darauf geachtet. Vielleicht, weil man nur zwei Herangehensweisen an das Intimleben von Denkern kennt: entweder über ein nostalgisches Klatschinteresse, das offenbart, wie der berühmte Metaphysiker seinen Schnurrbart trimmte und wo die große Gesellschaftskritikerin ihre Dessous abstreifte; oder mit dem nüchternen Blick des Theoretikers, der das Alltagsleben wie einen unpassenden Mantel an der Garderobe hängen lässt.
weiterlesen: http://www.welt.de/kultur/article12814494/Die-intellektuelle-Ehe-oder-Wer-mit-wem-schlief.html
weitere Titel der Autorin:
Schlaffer, Hannelore: Das Alter. Ein Traum von Jugend
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3518414925, Gebunden, 120 Seiten, 15,00 EUR
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Was ist Alter? Wann beginnt es? Wann ist man alt? "Eigentlich gibt es kein Alter", schreibt Hannelore Schlaffer, "denn wer alt und glücklich ist, kann sich für jung halten." Ist man also tatsächlich so alt, wie man sich fühlt? Von der Antike, die ein Lob des Alters sang, bis zum Heute der "Selpies" (second life people), der "Uhus" ...
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