Ein Bericht über Erika Mann
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Irmela von der Lühe
Wallstein Verlag
ISBN: 978-3-8353-0765-0
€ 22,00
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Ein bewegendes Dokument über Erika Mann und gleichzeitig ein ganz eigener Blick auf die Mann-Familie: hier erstmals publiziert
Die Schauspielerin, Sängerin und Theaterkritikerin Signe von Scanzoni war die letzte Lebensgefährtin von Erika Mann. Nach deren Tod im September 1969 schrieb sie den fast 200 Manuskriptseiten umfassenden »Bericht über Erika Mann«. Dieser bisher unveröffentlichte Text liest sich als Totenklage, Lebensbeichte und letztes großes Briefgespräch. Er erzählt von einer leidenschaftlichen Bindung, die vom Zwang zur Verschwiegenheit und zum Verstecken ebenso bestimmt war wie von heftigen Kontroversen über Politik und Zeitgeschichte.
Die Selbstverpflichtung Erika Manns als »Nachlasseule«, als Wächterin über das Werk Thomas Manns und Editorin der Werke von Klaus Mann erscheint durch die einfühlsam-kritischen Kommentare in neuem Licht.
In seiner vorsichtig-beharrlichen, liebend-distanzierten Analyse eines »nicht gelebten Lebens« ist der Bericht ein ungewöhnliches literarisches Dokument: Die Bilanz eines Lebens im Gefängnis der berühmten Mann-Familie und ein Bericht vom Sterben eines geliebten Menschen - ebenso einfühlsam wie distanziert erzählt.
Signe von Scanzoni (1915-2002), Sängerin und Theaterkritikerin im Umfeld von Gustaf Gründgens und Clemens Krauss, war seit 1957 mit Erika Mann (1905-1969) befreundet.
Die Herausgeberin: Irmela von der Lühe, geb. 1947, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der FU Berlin; Veröffentlichungen u. a.: Erika Mann. Eine Biographie (2009); Ethik und Ästhetik des Mitleids (2007, mit Nina Gülcher).
»Unser Irrtum bestand darin, daß wir glaubten, daß man zu später Lebensstunde durch Veränderungen äußerer Umstände Fehlhaltungen noch korrigieren kann.«
»Ein Muss für all diejenigen, die nicht von der Mann-Familie loskommen.«
(Jacques Schuster, Die Welt, 09.10.2010)
»Ein leidenschaftliches, anrührendes, scharfsichtiges Denkmal, das von unerfüllten Kinderwünschen erzählt, von der Last des berühmten Vaters und der Liebe zu München.«
(Süddeutsche Zeitung Extra, 21.-27.10.2010)
»Der »Bericht über Erika Mann« ist diskret und aufschlussreich zugleich, so assoziativ wie hintergründig. Es ist eine Fundgrube für die Mann-Gemeinde, aber zugleich ein anregender Lesestoff für jeden literarisch Interessierten. Eine kleine Perle abseits der literarischen Sensationen.«
(Stefan Berkholz, NDR Kultur, 08.11.2010)
»Ein Buch, das literatur- wie zeitgeschichtlich gleichermaßen spannend ist und auch neue Perspektiven auf die gesamte Schriftsteller-Familie Mann eröffnet.«
(br-online.de, 08.11.2010)
»Ein Sensationsfund, nicht nur wegen seines intimen Einblicks in die Mann-Familie, sondern auch wegen seiner ganz eigenwilligen Qualität. Der Text ist tieftrauriger Abschiedsbrief, lebendiges Porträt, zeitgeschichtliche Analyse.«
(Nicole Strecker, WDR 3 Mosaik, 16.11.2010)
Signe von Scanzoni
Als ich noch lebte Ein Bericht über Erika Mann -
Vorgestellt von Stefan Berkholz
Die Dramaturgin und Musikjournalistin Signe von Scanzoni, die letzte Lebensgefährtin von Erika Mann, hat in ihrem Nachlass einen berührenden Bericht über ihre Freundin hinterlassen. Signe von Scanzoni starb 2002. Sie war zehn Jahre jünger als Erika Mann. Scanzoni begann den Text kurz nach dem Tod ihrer Freundin im August 1969 und schloss ihn im April 1970 ab.
Durch die vielen wörtlichen Passagen wirkt das Buch sehr authentisch. Der Leser vernimmt immer wieder Erika Mann im Wortlaut. Nicht nur die letzten Wochen und Monate im Krankenhaus in den Jahren 1969 werden anschaulich geschildert; darüber hinaus hat die Autorin knappe und treffende Charakterstudien zur Familie Mann verfasst, kluge und spöttische Bemerkungen zum Wesen des Menschen, eigenwillige Positionen zu Kunst und Kultur. Der Titel dieser Entdeckung lautet: "Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann".
Unvermeidbares Exil
Ein Jahr vor ihrem Tod, 1968, bekannte Erika Mann in einem Interview, dass der Weggang ins Exil, 1933, für sie selbstverständlich und nahezu eine Pflicht gewesen sei: "Die Emigration hat sich zwingend für uns ergeben aus der Tatsache, dass wir ja alle mehr oder weniger längst vor Ausbruch des Dritten Reiches politisch tätig gewesen waren und den Nazis daher so verhasst waren, dass wir in jedem Fall gehen mussten. Natürlich wären wir ohnedies gegangen, wir hätten dort nicht atmen können."
Gedanken einer 'Nachlasseule'
"Ich konnte mir den Luxus einer Stellungnahme nicht leisten", entgegnet Signe von Scanzoni ihrer Freundin und verteidigt damit ihr Bleiben in Hitler-Deutschland. Die beiden Frauen debattieren über die Rolle Gustaf Gründgens’ in Hitlers Reich. Sie reden über Marxismus und Faschismus, über Fiktion und Wirklichkeit in der Literatur, über die Sorgen und Nöte einer "Nachlasseule", wie sich Erika Mann selbst bezeichnete, weil sie ihr spätes Leben für das Werk des Vaters und des Bruders Klaus hingab.
Die Herausgeberin des Berichts über Erika Mann, die Literaturwissenschaftlerin Irmela von der Lühe beschäftigt sich seit langem mit der Geschichte und Literatur der Familie Mann. Sie beschreibt, wie die beiden Frauen zueinander fanden: "Es verband sie die Passion für Theater, für Aufführung. Beide wollten Schauspielerinnen werden. Beide konnten es aus unterschiedlichen Gründen nicht werden. Es verband sie auch ein sehr stark kritischer, ein sarkastisch ironischer Blick auf die Wirklichkeit."
Eine Fundgrube für Mann-Kenner
Die beiden Frauen diskutieren auch über die Literatur des berühmten Vaters, besonders über den "Doktor Faustus", den die Autorin als liebstes und wichtigstes Werk des "Zauberers" bezeichnet.
Irmela von der Lühe: "Da gibt es ein langes, wie sie es selber nennt, Damengespräch über den 'Dr. Faustus'. (…) Das ist eine außerordentlich originelle Stimme, weit reichende Stimme zu Thomas Manns 'Dr. Faustus'. Man könnte es natürlich auch für amüsant halten, dass da en passant Erika Mann mit einer Äußerung zitiert wird, die man noch nirgendwo gelesen hat und die aus den frühen 60er-Jahren stammt und die lautet: Naja, Thomas Mann war natürlich ein ganz gewöhnlicher Homosexueller. Das freut (heute) ja natürlich eine bestimmte Szene hier, wie ich mal vermute, auf das Intensivste, das steht da einfach mal so ohne großen Aufwand."
Der "Bericht über Erika Mann" ist diskret und aufschlussreich zugleich, so assoziativ wie hintergründig. Es ist eine Fundgrube für die Mann-Gemeinde, aber zugleich ein anregender Lesestoff für jeden literarisch Interessierten. Eine kleine Perle abseits der literarischen Sensationen.
Ein neues Bild von Erika Mann
Signe von Scanzoni: "Als ich noch lebte. Ein Bericht über Erika Mann", Wallstein Verlag, Göttingen 2010, 22 Seiten
Die Musikjournalistin und Dramaturgin Signe von Scanzoni war eine Geliebte von Erika Mann. Sie zeichnet das Porträt einer Frau, die mehr, als bisher vermutet, durch die Jahre des Exils und den Tod des Vaters Thomas Mann gezeichnet war.
Erika Mann ist Mitte 50, als sie 1957 der zehn Jahre jüngeren Musikjournalistin und Dramaturgin Signe von Scanzoni wieder begegnet. Die beiden Frauen, die sich als Kinder in München nur oberflächlich gekannt hatten, werden ein Paar. Ein Paar, das zwölf Jahre füreinander hat, und für das es dennoch auf verzweifelte Weise zu spät ist. "Unser Irrtum" schreibt Scanzoni in ihrem "Bericht über Erika Mann", "bestand darin, dass wir glaubten, dass man zu später Lebensstunde durch Veränderungen äußerer Umstände Fehlhaltungen korrigieren kann."
Erika lebt unstet, ohne eigene Wohnung, meist in Hotels oder als Gast im Haus ihrer Eltern Thomas und Katia Mann. Der Traum von einem "Niemandsland", in das sie sich mit der Freundin wünscht, wird unerfüllt bleiben. Das Ausleben der Beziehung ist dank Dauerbeobachtung durch die Familie nur an wechselnden Orten möglich. Zudem entsprach "jede direkte, unstilisierte Aussage von Schmerz, Lust oder Liebe ... nicht dem Gefühlsklima der Familie." So blieb es. Signe ist dennoch von der Freundin fasziniert, von deren "unbedingtem Passioniertsein", der Frau, der jede politische, künstlerische und persönliche Frage zu "brennender, ja verzehrender Substanz" gerät - während sie sich selbst als eher "auf Sparflamme geschraubt" beschreibt.
Die letzten fünf Lebensmonate Erika Manns bilden den zeitlichen Rahmen für Scanzonis "Bericht", den eigentlichen Zusammenhang aber liefern Thomas Mann und dessen Werk. Immer wieder verwenden die beiden Zitate und Anspielungen aus Thomas Manns Büchern. Scanzoni nimmt die Sterbeszene der alten Konsulin aus den "Buddenbrooks" auf, um das Zürcher Spital zu beschreiben, in dem Erika Mann an einem Hirntumor zugrunde geht.
Vielen dieser feinen Spuren kann man dank Irmela von der Lühes hilfreichem Nachwort folgen. Dass sich Erika Mann in ein "Familiengefängnis" gesperrt hatte - zuerst als "Tochter-Adjutantin" des Vaters und später, nach dem Selbstmord von Bruder Klaus und dem Tod Thomas Manns, als "Nachlass-Eule" -, das lässt sich anhand von Scanzonis Bericht nachvollziehen. Es ist eine Entscheidung aus Disziplin wie Überheblichkeit, denn sie hielt sich als Einzige für befugt und befähigt, über das Mann'sche Erbe zu wachen. Lebend sollte sie aus diesem Gefängnis nicht mehr herauskommen: "Mit der grausamen Logik der Natur", schreibt Signe von Scanzoni 1969, "setzte die tödliche Wucherung den Denkapparat außer Funktion und erlöste dich auf wohl makabre, aber kaum unergründliche Art von einer Last, die du schon lange nicht mehr tragen wolltest."
Wer Erika Mann als aggressive Furie in der Erinnerung hat, die nicht davor zurückschreckte, auch in persönlich verletzender Weise Thomas-Mann-Biografen, Journalisten und Kritikern der von ihr herausgegebenen Editionen zu begegnen, und zahllose Prozesse anzustrengen, der dürfte überrascht sein, in welch ruhigem Ton die beiden Frauen ihre gegensätzlichen Standpunkte austauschen. Anders als Erika Mann weigerte sich Signe von Scanzoni, die Leistungen von Künstlern an deren scheinbarer politischer Gesinnung zu messen. Sie nahm den von ihr geschätzten Dirigenten Clemens Krauss ebenso in Schutz wie Gustav Gründgens, das Vorbild für Klaus Manns Roman "Mephisto". Dessen Verbleib im nationalsozialistischen Deutschland hatten Erika wie Klaus Mann stets heftig kritisiert. Scanzoni nennt ihn einen "glanzvollen Theatermann, von dem man über das Wesen dieser Kunst sehr viel lernen kann." Die überraschende Antwort Erikas lautet nun, in ihren späten Jahren: "Die Woge deines Zorns bricht sich an meiner Streitunlust, an dem ruhigen Ton."
Es ist dieser unerwartete Ton, in dem Scanzonis ihren "Bericht" verfasst hat, diese genaue, niemals diffamierende, aber auch nichts beschönigende Art, mit dem sie eine neue Farbe ins Bild der Erika Mann hinzumischt. Es entsteht das Bild einer Frau, die viel mehr, als bisher vermutet, durch die Jahre des Exils und den Tod des Vaters gezeichnet war. Besprochen von Liane von Billerbeck weiterlesen im link: