08 Mai 2012

Lesen macht klug und schoen 656 - Spring ich durch den Feuerreifen

Hrsg. Christiana Engelmann, Cornelia Gyárfás -
Spring ich durch den Feuerreifen
Lyrik für Mädchen





Reclam Verlag
ISBN: 978-3-15-010862-8
EUR (D): 12,95
hier bestellen (Ab 25€ ist der Versand kostenfrei)

Wie gehen Lyrikerinnen mit der eigenen Entwicklung um - Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann, Mascha Kaléko, Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker und viele andere unbekanntere Autorinnen? 
Alle wissen aus eigener Erfahrung, was Mädchen umtreibt: 
Kaum eine möchte so weiterleben wie bisher (»Ausbrechen«), 
alle kennen das »Glücklich unglücklich« der Pubertät, erinnern sich an die Zweifel, wenn er sich nicht traut - 
oder es ihn gar nicht gibt (»Was nicht ist, kann auch nicht werden«), 
haben das »Risiko Körper« erfahren, 
das Unterwegssein oder »Heimatlosigkeit« erlebt und verstehen, was abweichen, ausscheren, gegen den Strom schwimmen bedeutet (»Ich bin die Kröte und trage den Edelstein«).

In ihren Gedichten verständigen sich die Lyrikerinnen über das Ich in der Welt, mal eindeutig, mal verschlüsselt oder phantasievoll tastend. 
Und vielleicht können sie dabei Orientierung bieten, helfen, den eigenen Weg zu finden.

Christiana Engelmann
Christiana Engelmann studierte Germanistik und Anglistik in München und Manchester. Sie arbeitet als Literaturkritikerin für den Hörfunk und für Zeitungen und Zeitschriften, ist in der Erwachsenenbildung tätig und lebt mit ihrer Familie in München.




Cornelia Gyárfás, geboren 1955, studierte Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in der Erwachsenenbildung. Sie lebt heute als freischaffende Künstlerin mit ihrer Familie in Bonn.

Ausschnitt Gedichte:


Die Mutter spricht von Marie Luise Kaschnitz
 
Komm, sagt die Mutter, zur Welt, Kind.
Ich will dich nähren.
Wozu wir auf dieser Welt sind,
Kann ich dir nicht erklären.
Das sagt dir der Vater morgen
Oder irgendwann.
Ich hab zu tun und zu sorgen,
Mich geht's nichts an.

Ich will, daß du immer satt hast
Und kein Regen auf dich fällt
Und du eine bleibende Statt hast
Hier in der Welt.
Und daß du das Schmutzige meidest
Und den Rechten zum Freund dir erwählst
Und daß du nicht krank wirst und leidest
Und mir immer alles erzählst.

Ich will dich gar nicht so mutig
Und auch nicht besonders schön,
Weil die allzu Kühnen und Schönen
So oft zugrunde gehn.
Ja, am liebsten behielt ich dich immer
Klein und bei mir.
Ich heizte dir das Zimmer
Und ließe dich nicht vor die Tür.

Denn draußen ist sehr viel Böses,
Weiß nicht wo das Gute blieb.
Komm auf die Welt, Kind,
Sieh selbst, Kind.
Vergiss nicht, wir haben dich lieb.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I Ausbrechen
Annette von Droste-Hülshoff: Am Turme
Harriet Grabow: Electri-City
Sarah Kirsch: Der Droste würde ich gern Wasser reichen
Friederike Mayröcker: Der Aufruf
Ursula Krechel: Umsturz
Angela Sanmann: rapunzel
Nora-Eugenie Gomringer: Ich bin die Angesammelte
Nora-Eugenie Gomringer: Ursprungsalphabet




rapunzel von Angela Sanmann

nenn’ mich rapunzel mir wachsen die haare
zum fenster hinaus in den garten umgarnen
die bäume bis zum fenstersims bin ich schön
gebürstet gekämmt man vergaß eine schleife
in meinem haar willst nicht hinaufsteigen
strickleiter räuber pack mich am schopf
schleif mich herbei steh’ nicht bloß
vor dem fenster herum




II Glücklich unglücklich
Marianne von Willemer: Suleika
Ricarda Huch: Sehnsucht
Else Lasker-Schüler: Ein Liebeslied
Ingeborg Bachmann: Römisches Nachtbild
Friederike Mayröcker: E. J.
Silke Scheuermann: Nur die Nächte in Paris …
Nadja Küchenmeister: nebel
Helga M. Novak: Frühling

III Penelope wartet nicht
Hilde Domin: Abel steh auf
Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit
Monika Rinck: orpheus charmiert bestien minderer qualität
Silke Scheuermann: Medusas Frisör
Sandra Trojan: Um uns arm zu machen
Barbara Köhler: GEWEBEPROBE : PENELOPE
Daniela Danz: St. Georg
Lioba Happel: Ich habe einen Apfel gegessen

IV Was nicht ist, kann auch nicht werden
Karin Kiwus: Lösung
Renate Rasp: Vergiss
Karoline von Günderrode: Die eine Klage
Mascha Kaléko: »Alte Flamme« bei Lichte besehen …
Sarah Kirsch: Die Luft riecht schon nach Schnee
Anna Louisa Karsch: An den Domherrn von Rochow
Annette von Droste-Hülshoff: Lebt wohl

V Mutter – Vater – Tochter

1. Mitteilungen an die Mutter
Annette von Droste-Hülshoff: An die Mutter
Ursula Krechel: Meine Mutter.
Sandra Trojan: Fotografie einer Mutter
Friederike Mayröcker: Meine Mutter mit den offenen Armen

2. Mitteilungen der Mutter
Marie Luise Kaschnitz: Die Mutter spricht
Ulla Hahn: Mitteilungen der Mutter
Herta Müller: Mutter sagt
Saskia Fischer: Mutter empfiehlt

3. Nachrufe auf Väter
Ulla Hahn: Mein Vater
Saskia Fischer: Glück ab
Elke Erb: Weihnachtsurlaub
Silke Scheuermann: Prisma
Annette von Droste-Hülshoff: Wärm dir, wärm deine liebe Hand
Ulrike Draesner: ich wie du
Ilse Aichinger: Mein Vater
Nora Bossong: Rolandslied
Nora Bossong: Rosenstöcke

VI Hausgemacht
Harriet Grabow: Meeting Hans
Ursula Krechel: Die Taschenfrauen
Elke Erb: Die Mutter holt Kartoffeln
Marion Poschmann: Rheinisches Schiefergebirge
Anna Louisa Karsch: Das Lob des Essens
Mara Genschel: 79 FLEISCH einfach
Katja Lange-Müller: Broiler-Requiem
Martina Hefter: Gloster
Kerstin Hensel: Markt

VII Risiko Körper
Sarah Kirsch: Muskelkater
Monika Rinck: trainingsziele
Kathrin Schmidt: schneekoppe
Friederike Mayröcker: habe die Hände (von) Melancholie
Ilma Rakusa: Ich strauchle durch den Tag
Barbara Köhler: Sonntagskind
Ulrike Draesner: die schöne reiherfeder
Silke Scheuermann: Wir wären mehr als federgewichtig weißt du
Sandra Trojan: Contortio

VIII Unterwegs und andernorts
Friederike Kempner: Amerika
Rose Ausländer: Italien I
Mascha Kaléko: Schienen-Sehnsucht
Monika Rinck: hypotypose: liegen auf schienen
Sabina Naef: Gare du Nord
Greta Granderath: Rio de Janeiro
Ulrike Draesner: hammam

IX Weltbewegen(d)
Elke Erb: Schuld sind die
Herta Müller: im Fernsehen kommt Eiskunstlauf
Kerstin Hensel: Siebenschläfer
Sabine Scho: Horst mit seinem neuen Opel
Friederike Kempner: Wißt ihr nicht, wie weh das tut?
Mascha Kaléko: »Die Leistung der Frau in der Kultur«
Sophie Mereau: An einen Baum am Spalier
Hertha Kräftner: Abends
Marie Luise Kaschnitz: Hiroshima
Nelly Sachs: wer aber leerte den Sand aus euren Schuhen
Ulla Hahn: Nach Jahr und Tag

X Tierisch
Friederike Kempner: Das Tier
Sarah Kirsch: Trauriger Tag
Gertrud Kolmar: Trauerspiel
Christa Reinig: Katzenverfassung
Ulrike Almut Sandig: hund sein
Herta Müller: eine graukarierte Hündin
Nora Bossong: Kortex
Uljana Wolf: an die kreisauer hunde

XI Schön schamlos
Nora-Eugenie Gomringer: Dienen
Kerstin Hensel: Adventsspruch
Ursula Krechel: To whom it may concern
Sarah Kirsch: Don Juan kommt am Vormittag
Else Lasker-Schüler: Orgie
Ulla Hahn: Anständiges Sonett
Helga M. Novak: Liebe
Mara Genschel: Lied der portugiesischen Wäscherin
Sibylla Schwarz: Hochzeitgedicht Auf der Jungfrau
Braut Namen
Ilma Rakusa: Ich bin dein Nest

XII Ich bin die Kröte und trage den Edelstein
Sarah Kirsch: Nachricht aus Lesbos
Sidonia Hedwig Zäunemann: Niemand schwatze mir …
Dagmar Nick: An eine diffamierte Dame
Karin Fellner: achtäugige du
Nadja Küchenmeister: staub
Gertrud Kolmar: Die Kröte
Daniela Danz: Gabriel zu Maria

XIII Naturbelassen
Marion Poschmann: Aufrichtige Tannengesellschaft
Gertrud Kolmar: Wappen von Berlin
Elke Erb: Einsicht
Sarah Kirsch: Im Sommer
Annette von Droste-Hülshoff: Im Grase
Helga M. Novak: Marienhaar
Catharina Regina von Greiffenberg: Über ein lustbringendes Regenlein
Nora Bossong: Worpswede
Martina Hefter: Der Winter ist zurück, im April

XIV Heimatlos
Daniela Danz: Ovid in Constanta
Rose Ausländer: Biographische Notiz
Mascha Kaléko: Der kleine Unterschied
Nelly Sachs: kommt einer
Ulrike Draesner: drüben ih r r üben
Else Lasker-Schüler: Heimweh
Hilde Domin: Köln
Ingeborg Bachmann: Exil
Dragica Rajčic´: gemischtes

XV Die Welt hochwerfen
Annette von Droste-Hülshoff: Der Dichter – Dichters Glück
Nora-Eugenie Gomringer: Gedichte
Marie Luise Kaschnitz: Ein Gedicht
Elke Erb: Es setzt auf mich
Silke Scheuermann: Die Art wie Gedichte arbeiten
Hilde Domin: Wer es könnte
Ingeborg Bachmann: Die blaue Stunde
Nora-Eugenie Gomringer: Ich werde etwas mit der Sprache machen



Die Taschenfrauen von Ursula Krechel:

Nicht nur heut am Mittwoch
bei Regen und Schneeglöckchen
gehen sie am Vorgarten entlang
vermummt in Schals und Mützen
kommen mit ihren Taschen so gegen elf
eilig vom Kaufmann an der Ecke
bei dem nur ein Scherz für sie abfällt
schleppen Blumenkohl und Möhren
Roggenbrot und Kräuterquark
in ihren tiefen Taschen
laufen den Kindern über den Weg
die schleppen aus der Schule
Ranzen, Turnschuhe, kneifen sich
raufen, hüpfen noch ein bisschen
dann in der Küche, wenn
die Taschenfrauen ihre tiefen Taschen
auspacken, alles in den Kühlschrank
möcht ich dabei sein, möcht sie
küssen und umarmen, wenn sie einmal
auf dem Grund der tiefen Taschen
suchen nach ihrem eigenen Leben.


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