18 Oktober 2011

Lesen macht klug und schoen 489 - Irene Dische - Großmama packt aus

Irene Dische - Großmama packt aus

Roman

Großmama packt aus von Irene Dische
ISBN 978-3-423-13521-4
9,90 Euro
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Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser.
Die gute Katholikin Elisabeth Rother kennt kein Tabu, ganz egal, ob es sich um ihr Ehebett, um die Juden, um den Lieben Gott oder um die Gestapo handelt. Allerdings gibt es keine Katastrophe, nicht einmal die Flucht nach Amerika oder der Zweite Weltkrieg, die sie so sehr beschäftigt wie ihr weitverzweigter Clan. Irene Dische löst ein ewiges Problem der Literatur: das der Autobiografie. Bekanntlich verstrickt sich jeder in ein Lügenknäuel, der sein eigenes Leben beschreiben will. Aus diesem Dilemma befreit sich die Autorin, indem sie sich dem gnadenlosen Blick ihrer überlebensgroßen Großmama aussetzt.

Bekanntlich verstrickt sich jeder, der über sein eigenes Leben schreiben will, in ein Lügenknäuel. Der Kunstgriff, mit dem Irene Dische diesem Dilemma entgeht, ist genial: an ihrer Statt erzählt Großmutter Elisabeth Rother, genannt Mops, und die Enkelin setzt sich lustvoll ihrem süffisanten, gnadenlos vorurteilsbeladenen Blick aus.

»Daß meine Enkeltochter so schwierig ist, hängt vor allem mit Carls geringer Spermiendichte zusammen« - zum Auftakt ein Paukenschlag, und damit wird das schlesisch-rheinische Familienensemble auf die Bühne gerufen. Carl, Elisabeths jüdischer Mann aus Leobschütz, ist ihretwegen zum Katholizismus konvertiert, was die Nazis und sein neuer Erlöser aber nicht gelten lassen wollten. Gerade noch rechtzeitig gelangte er mit Frau und Tochter nach New York, während Elisabeths Brüder aufrechte Nazis wurden und Carls Verwandtschaft im KZ endete.


Irenes Mutter, Renate, zerschnitt gerne Leichen und erzog ihre Tochter vornehmlich in der Pathologie, weil Dische, ihr unmöglicher Mann, zu Hause an einer Erfindung hockte, die ihm fast den Nobelpreis eingetragen hätte. Liesel, das Faktotum, ist moralisch unerschütterlich und Gott ebenso ergeben wie den Rothers:


Nachdem sie der sterbenden Großmutter mittels Himbeergeist zu einem sanften Tod verholfen hat, bleiben ihrer Fürsorge immer noch die unbelehrbare Renate und die missratene Irene, die zwar ihre Jungfräulichkeit löblich lange verteidigt, dafür aber keinen Schulabschluß und, wie es lange schien, auch sonst wenig zustande gekriegt hat… Wie in einem Kaleidoskop fügen sich die atemlos, liebevoll-bösartig erzählten Episoden dieser deutsch-amerikanischen, katholisch-jüdischen Sippe zu einem Gesamtbild bürgerlicher Familienkatastrophen.


 


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Irene Dische wurde im »Vierten Reich«, einem deutsch-jüdischen Emigrantenviertel in New York City, geboren. Deutsch ist ihre Muttersprache. Ihr Vater, ein renommierter Wissenschaftler, stammt aus Galizien; ihre Mutter, 1939 aus Deutschland immigiert, war während der frühen sechziger Jahre Stellvertretende Obergerichtsmedizinerin von New York.

Irene Dische studierte in Harvard und lebt seit den achtziger Jahren vorwiegend ohne Aufenthaltserlaubnis in Berlin sowie in Rhinebeck/USA; ihr Antrag auf einen deutschen Pass ist vom Berliner Innenministerium zweimal abgelehnt worden. 1986 drehte sie den Dokumentarfilm ›Zacharias‹ über das Leben ihres Vaters. Von Hans Magnus Enzensberger entdeckt, veröffentlichte Irene Dische 1989 ihr literarisches Debüt, den Erzählungsband › Fromme Lügen‹, der von der Kritik begeistert aufgenommen wurde. Es folgten zahlreiche Romane und Erzählungsbände.



Pressestimmen:

Gabriele von Arnim, Literarische Welt
»Irene Dische ist eine Meisterin der glaskalten Ironie, sie hat ein wunderbar unsentimentales Buch geschrieben, das auch eine Liebeserklärung ist an die Mutter, die Großmutter und ein wenig vielleicht sogar an sich selbst.«

»Irene Dische mustert unsere verrückte Welt mit einer eigenartig geschliffenen Linse, die immer wieder neue Details heranholt, schmerzhaft nah, schmerzhaft genau.« Martin Ebel in der ›Hannoverschen Allgemeinen Zeitung‹

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.11.2005

Jörg Magenau erinnert zunächst mit Verve daran, wie ungeheuerlich Irene Disches Erzählband "Fromme Lügen" von 1989 war, in welch respektlosen und - avant la lettre - politisch unkorrekten Ton sie über den Holocaust geschrieben hat. Doch was damals unerhört, seufzt Magenau, ist längst eine literarische Modeerscheinung - "von den Billers bis zu Eva Menasse". Den neuen Roman aus autobiographischer Perspektive der jüdischen Amerikanerin mit deutschen Vorfahren verortet er als einen neuen Anlauf, mit wiederkehrenden Motiven. Die Ich-Erzählerin und Großmutter von Irene Dische, Elisabeth Rochers, spannt den Bogen über ein ganzes Jahrhundert und rekapituliert in nicht versiegendem Erzählfluss noch aus dem Grab das Leben dreier Frauengenerationen. "Als paradoxen Versuch eines Familienromans unter weitgehender Abwesenheit der Familie" formuliert der Rezensent noch sein schwankendes Urteil. Im Verlauf des Romans jedoch überwiegen für ihn die Schwächen in der erzählerischen Komposition, die er in der dominierenden und allwissenden Perspektive der Großmutter, die aus dem Leben der Enkelin Irene Dische berichtet, auseinanderfallen sieht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.10.2005

Michael Naumann gesteht, "hingerissen" zu sein: Ein solch entzückender, kluger, tieftragischer und hochkomischer Roman! Und mit solch üppiger Verschwendung erzählt: Short Storys, Romanstoffe, Opernlibretti - alle paar Seiten was Neues, und insgesamt ergibt alles ein "Gesamtbild bürgerlicher Familienkatastrophen". Naumann fühlt sich, als halte er nicht ein Buch, sondern ein "Kaleidsokop" in den Händen, in dem es bei jeder Drehung eine andere Konstellation zu bewundern gibt. Die Familie, das sind die Rothers/ Disches, inklusive einer schriftstellerisch tätigen Tochter namens Irene. Aber, warnt Naumann, wer hier nicht nur Nähe, sondern Deckungsgleichheit mit der Autorin vermutet, ist auf dem falschen Dampfer: Schließlich erzählt auch die Großmama aus dem Jenseits, und zwar mit "an Boshaftigkeit grenzender Liebe". Fazit: Dische zeige in ihrer amerikanischen Familiengeschichte, dass diese nicht unbedingt so trostlos gesehen werden müssen wie von Cheever, Updike oder Ford: "Das Leben endet tödlich, klar, aber der Weg zum Ende ist amüsanter, als unser konstant schlechtes Gewissen es suggeriert."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2005

Helmut Böttiger zeigt sich bereits vom ersten Satz dieses Romans wenig angetan. Es handelt sich um den Monolog von "Großmama", die eine 365 Seiten andauernde Tischrede hält und dabei redet, "wie ihr der Schnabel gewachsen ist", erklärt der Rezensent. Irene Dische stelle schon in den ersten launigen Sätzen klar dass es ihr um eine "vergnügliche Lektüre" gehe, mit der sie sich "vertraulich zwinkernd" hauptsächlich an ein weibliches Lesepublikum wendet, gleichzeitig aber lege sie offensichtlich Wert auf einen ernsteren zeitgeschichtlichen Rahmen, so Böttiger irritiert und schon etwas spöttisch. Und so spricht die alte Frau manchmal "unfreiwillig komisch", mitunter auch wirklich "witzig" von der begrenzten Zeugungskraft ihres jüdischen Ehemannes Carloder lässt wie nebenbei fallen, dass seine gesamte Familie von den Nazis umgebracht wurde, so der Rezensent, der vermutet, dass sich Dische hier an "jüdisch-amerikanischen Selbstironikern" wie Philipp Roth oder Woody Allen orientiert. Zwischen Disches "saturierter Salon-Prosa" und den beiden Autoren besteht allerdings eine "beträchtliche Fallhöhe", stellt Böttiger kühl fest. Wenn die alte Frau dann auch noch die Enkelin, die sich als Irene Dische selbst herausstellt, ins Gespräch bringt und sie als "drogen- und hippiemäßig rummachende" junge Frau vorstellt, befällt den Rezensenten das "unangenehme Gefühl", dass er hier Zeuge eines "primären Narzissmus" wird. Rainer Schmitz, Focus

»Hinreißend erzählt. Tragisch, komisch, grotesk wie auch makaber. Zum Dahinschmelzen.«
Nina-Anna Beckmann, Main-Echo, 28.11.2008
»Der lakonische und herrlich-unaufgeregte Erzählstil von Irene Dische, pardon ihrer Großmutter, steht dabei in einem wohltuenden Kontrast zum ernsten Thema, so dass man trotz aller Tragik und aller schrecklichen Ereignisse immer wieder lachen muss und verblüfft den Kopf schüttelt über diese sture und doch sympathische Person, die unbeirrt ihren Weg geht, egal welche Schläge das Schicksal für sie parat hält. Und so ist Irene Dische nicht nur eine amüsante Familiengeschichte gelungen, sondern auch ein Buch, das Mut macht und zeigt: Das Leben geht weiter.«
Badische Neueste Nachrichten, 09.08.2007
»Einer der bemerkenswerteren Romane jüngerer Zeit liegt nun auch im Taschenbuch vor: Die deutsch-amerikanische Autorin Irene Dische lässt ihre Großmutter für sich sprechen, erzählt deren Lebensgeschichte und damit auch einen Teil ihrer eigenen Geschichte aus der Sicht einer Person, die nicht nur die Brüche und Umbrüche des 20. Jahrhunderts erlebt hat, sondern sie in sich selbst trägt.«

Bücher von Irene Dische

Dische, Irene: Clarissas empfindsame Reise. Roman

DTV
Eine fulminante Satire auf den American Way of Life.
Aus dem Englischen Reinhard Kaiser. "Wenn du dich in New York kurieren willst, wieso fliegst du dann nach Miami?" Dieses Buch erzählt die empfindsame Reise Clarissas nach Hause und ist gleichzeitig ein Wegweiser durch einen amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Ein klassischer Anlass, zu reisen, sind Sorgen. Clarissa ist eine ...

Dische, Irene: Ein Job. Roman

DTV
Ein kurdischer Killer in New York – ein Kriminalroman voll grotesker Komik.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009, ISBN 3455401473, Gebunden, 159 Seiten, 15,95 EUR
Aus dem Englischen von Reinhard kaiser. Ein kurdischer Killer kommt nach New York, spricht kein Wort Englisch und findet die Amerikaner höchst merkwürdig. Er hat einen Auftrag, der ihn noch mehr verstört; er soll die Familie eines türkischen Geschäftsmannes erledigen, aber Frauen und Kinder tötet er nun mal nicht gern. ... 

Dische, Irene: Veränderungen über einen Deutschen. oder: Ein fremdes Gefühl. Roman

DTV
Die Geschichte eines Mannes, der nicht weiß, was Liebe ist – und schließlich etwas wie die vollkommene Liebe findet.
Man nennt ihn auch den Deutschen, den Walzer von Diabelli, über den Beethoven seine 33 Variationen komponierte. Irene Dische hat ihren großen Roman "Ein fremdes Gefühl" nach dieser Komposition und ihren Stimmungen geschrieben und nun vollkommen überarbeitet. "Veränderungen über einen Deutschen" ist ... 

Dische, Irene: Lieben. Erzählungen

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»Für alle die glauben, sie hätten schon alles über die Liebe gelesen.« Brigitte
Da ist ein glücklich verheiratetes Ehepaar, das vorzeitig auseinandergerissen wird, doch im Himmel lebt ihre Beziehung weiter. Dort angekommen ist auch eine alte trauernde Witwe, die ihren verstorbenen Ehemann schmerzlich vermisst und ihr Geld verschenken will, aber von niemandem ernst genommen wird. Im Fegefeuer hingegen schmort die Beziehung ..

Irene Dische - Fromme Lügen
 
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Irene Disches legendäres Debüt! Sieben Erzählungen aus New York und Berlin, die von Außenseitern, Emigranten, Gestrandeten und nicht zuletzt vom alltäglichen Exil des...


Während seine Tochter seinen Umzug ins Heim vorbereitet, lässt der betagte Nobelpreisträger sein turbulentes Leben Revue passieren ...

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