26 Oktober 2011

Lesen macht klug und schoen 497 - Eva Illouz - Warum Liebe weh tut

»Über Liebe wird man nicht mehr diskutieren können, ohne sich auf dieses Buch zu beziehen.«

Eva Illouz - Warum Liebe weh tut

Eine soziologische Erklärung

Cover: Warum Liebe weh tut

ISBN-13 9783518585672
24,90 EUR 

Warum tut Liebe weh, jedenfalls gelegentlich? Was fasziniert uns noch heute an Figuren wie Emma Bovary oder Heathcliff und Catherine, den unglücklich Liebenden aus Emily Brontës Sturmhöhe
Und vor allem: Was unterscheidet uns von ihnen? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Liebeskummer zu Zeiten Jane Austens und der Art und Weise, wie wir ihn heute erfahren und damit umgehen?

»Ja«, sagt Eva Illouz, die Meisterin der soziologischen Analyse der Gefühlswelt moderner Menschen, und widmet sich in ihrem neuen Buch der Schattenseite der Liebe. 

Sie zeigt, inwiefern der Liebesschmerz wesentlich von den gesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen Zeit geprägt wird und keineswegs ein rein individuelles Problem ist, wie uns etwa Beziehungsratgeber weismachen wollen. Das Leiden an der Liebe ist ein soziologisches Phänomen, das Illouz untersucht wie einst Marx die Ware im Kapitalismus: in Begriffen des Tauschs zwischen ungleichen Marktteilnehmern. 
In sechs Kapiteln entfaltet sie die Ursachen zeitgenössischen Liebesleidens sowie die Spezifika des heutigen Umgangs mit Beziehungskrisen. Die digitalen Heiratsmärkte spielen dabei ebenso eine Rolle wie die neuen Mechanismen der Partnerwahl und der strategische Umgang mit der romantischen Vorstellungskraft.
Nach den großen Erfolgen von Der Konsum der Romantik, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus und Die Errettung der modernen Seele schreibt Eva Illouz ihre faszinierende Soziologie des modernen Menschen fort, die immer auch kritische Bestandsaufnahme der Zeit ist, in der wir leben.

Eva Illouz

Eva Illouz, geboren 1961 in Fes, Marokko, studierte Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Literaturwissenschaft in Paris, Jerusalem und Pennsylvania. Seit 2006 ist sie Professorin für Soziologie und Anthropologie der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Soziologie der Emotionen, der Konsumgesellschaft und der Medienkultur.
Frau Illouz, in Ihrem neuen Buch "Warum Liebe weh tut" schreiben Sie, man müsse aufhören, die modernen Liebenden mit Rezepten für ein gesundes und schmerzfreies Liebesleben zu traktieren. Sind Sie gegen Selbsthilfeliteratur?
Illouz: Ich wollte tatsächlich eine Alternative zur psychologischen Sprache der Selbstbezichtigung aufzeigen. Unser Denken und Sprechen über die Liebe ist völlig diesem Vokabular unterworfen. Wird man verlassen und ist erschüttert darüber, heißt es, man würde "zu sehr lieben". Will ein Mann keine traditionelle Beziehung, heißt es, er habe "Bindungsangst". Die Psychologie, und ich spreche hier von ihrer vulgären Variante, nimmt an, dass wir als Individuen verantwortlich für unser Schicksal sind - und dass Leiden vermeidbar ist, wenn wir genug an uns arbeiten. Das glaube ich so nicht. Viele Ursachen des Liebesschmerzes sind kollektiv.

Pressestimmen:

»Im Ineinander vom Konsumismus, Psychologisierung und Rationalisierung wurden die kulturellen Ressourcen aufgebraucht. Illouz erhellt die nicht bloß individuellen Gründe dafür. Die neuen Modelle der Liebe aber, auf die sie hofft, etwa die ›Modelle emotionaler Männlichkeit‹, werden einzelne erproben müssen. Wenn ihre Analyse zutrifft — und sie klingt sehr überzeugend — dann muss das moderne Ich seine eigene Matrix überschreiben, um eine neue Balance zwischen Autonomie und Anerkennung zu finden. Ein sehr romantischen Buch.«
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung
»Warum Liebe weh tut ist spannend wie ein Krimi, mit dem Unterschied, dass der Leser Seite für Seite darüber aufgeklärt wird, warum er selbst, im wirklichen Leben, Täter, Opfer oder beides zugleich ist.«
Tobias Haberl, Süddeutsche Zeitung Magazin Nr.40
In sechs Kapiteln beleuchtet die Autorin die modernen Schlachtfelder der Liebe. Sie beschreibt die neuen Heiratsmärkte, die zum einen durch globale Vernetzung entstanden sind und zum anderen dadurch, dass Sexyness im Zuge der Konsumkultur selbst zum Statussymbol wurde. Die damit einhergehende Verschiebung von romantischer Verbindlichkeit hin zu sexueller Verfügbarkeit erzeugt eine neue "Architektur der Wahl", also neue Kriterien dessen, was bei der Partnersuche an Eigenschaften wünschenswert oder an Strategien Erfolg versprechend ist. »Wie schon in ihrem letzten Buch Die Errettung der modernen Seele stellt Illouz die Psychologisierung und die damit verbundene Essentialisierung des Selbst ins Zentrum ihrer furiosen Analyse. Die damit einhergehende manische Selbstbesessenheit verbaut nicht nur den Weg zu einem gemeinsamen Erleben von Liebe und Welt, sondern macht zugleich das moderne Subjekt für sein Scheitern verantwortlich. Doch diese Selbstbezichtigung verdeckt auf perfide Weise die sozialen und kulturellen Grundlagen des modernen Liebesleides. Dass Männer mit diesen Grundlagen besser zurechtzukommen scheinen als Frauen, gehört zu den eindrücklichsten Pointen dieses meisterhaften Buches.«
Ariadne von Schirach, Deutschlandradio Kultur
»Illouz behält die marxistisch-feministische Perspektive bei. Sie kritisiert die Postmoderne und die damit einhergehende Individualisierung. Und sie legt den Finger in die Wunde, wenn sie in Beziehungsdingen ein neu erwachsenes Patriarchat entlarvt, dessen Macht darauf gründet, dass Frauen sich binden wollen, während Männer mit der Zahl ihrer Intimpartnerinnen prahlen. ...Eva Illouz beschreibt die gesellschaftlichen Umstände, die unser Liebesleben aus ihrer Sicht determinieren. Eine Bewertung spart die Soziologin dabei konsequent aus; ihre Haltung vermittelt sie mit dem spezifischen wissenschaftlichen Blick auf das Thema.«
Jan Georg Plavec, Stuttgarter Zeitung


Welche kollektiven Ursachen meinen Sie?
Illouz: Unsere Kultur hat angefangen, es als Zeichen von Abhängigkeit zu sehen, wenn wir uns leidenschaftlich verlieben. Leidenschaft erscheint uns suspekt, uncool, ein bisschen hysterisch. Trotzdem tut die Liebe heute weh - und zwar weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen der Partnerwahl verändert haben. Wir sind mit einer ungeheuren Auswahl möglicher Partner konfrontiert, und wir versuchen, so viel sexuelle und emotionale Erfahrung wie möglich anzuhäufen. © »Spiegel Online« (Eva Illouz im Interview mit Katrin Kruse) Das vollständige Interview finden Sie hier.
Welt Online: Die soziale Organisation? Geht es bei Liebeskummer nicht erst einmal um Gefühle? Illouz: Liebe und damit auch der Kummer, den wir mit ihr erfahren, ist von konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen geformt. Und manche Menschen verfügen über größere Kapazitäten als andere, die Bedingungen festzulegen, unter denen sie geliebt werden.
Seitdem Männer ihre Arbeitskraft verkaufen können, bedürfen sie nicht länger einer Familie, um sich gesellschaftliches Ansehen zu verschaffen. Frauen können und wollen noch immer Mütter werden, sie sind also mehr auf die Ehe angewiesen als Männer. Somit sind es heute Frauen, die die größere Bindungsbereitschaft zeigen.
Der Mensch als Handelsware  -
Glücklich ist der, der die allumfassende, romantische Liebe gefunden hat. Denn bei den meisten Männern und Frauen führt die Suche nach Liebe erst mal zum Leiden an der Liebe. Viele Menschen leiden daran, dass Sehnsüchte und Begierden sich womöglich nie erfüllen lassen. Die israelische Soziologin Eva Illouz fragt in ihrem neuen Buch "Warum Liebe weh tut", wie das möglich ist.
Ihre These besteht nun darin anzunehmen, Gefühle seien in unserer Gesellschaft keine Privatsache, sondern von Kultur, technischem Fortschritt und Wirtschaftssystem, also Kapitalismus, beeinflusst. Um die Liebesprobleme der Menschen heute besser zu verstehen, wirft Illouz zu Beginn einen Blick auf die Romane der Britin Jane Austen und fragt, welche Regeln im 19. Jahrhundert die Partnerwahl bestimmten und was sich seitdem geändert hat.
Ständig muss man sich selbst hinterfragen ...
Austens Figuren werben mit verfeinerten Ritualen als Angehörige einer Schicht umeinander. Charakter und Moral sind die Währung bei ihrer Balz. Ein Kandidat kann zwar das Nachsehen haben, wenn sein sozialer Rang nicht ausreicht. Das stellt aber seine Persönlichkeit nicht infrage. In modernen Beziehungen dagegen kommen Individuum und Psyche auf den Prüfstand. Ständig muss man sich selbst hinterfragen, ob man wirklich liebt. Gesellschaftliche und moralische Zwänge spielen keine große Rolle mehr. Im Ergebnis muss auf den heutigen Heiratsmärkte jeder mit jedem konkurrieren.
Illouz macht in ihrem Buch die moderne Ökonomie für den Wandel der Liebe verantwortlich. Im System der Märkte macht sich der Mensch selbst zur Handelsware. In der Folge haben die Menschen immer mehr Angst, sich fest zu binden. Im Meer der Angebote im Internet wird die Partnersuche zur Qual. Von dieser Liebesordnung profitieren die Männer mehr als die Frauen. Das Buch "Warum Liebe weh tut" gibt keinen praktischen Rat in Liebesdingen. Dennoch ist der Leser am Ende erleichtert. Denn er muss die Gründe für das Misslingen der Liebe nicht mehr allein bei sich selbst suchen.3 Sat/buchzeit




Und heute? Die Soziologie: In Illouz‘ Buch ist zu erfahren, dass die Liebe und der Schmerz, wie sie heute erlebt werden, ein Ausdruck von Kapitalismus und Moderne sind, was ja nicht schlimm wäre, müsste das Individuum seine Intimität nicht auf einem Markt verwalten, der vom Internet entgrenzt und von abgenagten Rollenbildern verhärtet ist und auf dem Kredite so schnell verbraucht sind, dass keine Rettung mehr möglich erscheint. Was, wie die Zeit richtig feststellt, ein wenig nach Griechenland klingt und ein Grund ist, weshalb Liebe gerade besonders weh tut. Im Regal stehen noch viele andere Versuche, die Liebe mit den Augen einer Wissenschaft zu betrachten, zu beschreiben, zu erklären. Das zweitälteste – in diesem Regal zumindest – erschien vor drei Jahren, stammt aber von 1969 und ebenfalls aus der Feder eines Soziologen: Niklas Luhmann hat den Text von Liebe. Eine Übung für ein Seminar verfasst, und seine Studenten haben wohl nicht schlecht gestaunt ob der Mitteilung, dass Liebe gar kein Gefühl sei, sondern ein Code, der sich wie Geld oder Macht verhält und dessen Semantik – hier schließt sich der Kreis – mit der Erfindung des Buchdrucks fundamentale Veränderung erfahren hat. Liebe ist, was als Liebe kommuniziert wird. Liebe ist demnach wie im Roman. Sie ist aber immer auch, wie sie im Sachbuch beschrieben wird. Weshalb sie weh oder gut tut. Aber in jedem Fall den Blick auf die Welt erweitert.

Bücher von Eva Illouz:

Illouz, Eva: Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe

Cover: Die Errettung der modernen Seele
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 3518585207, Gebunden, 414 Seiten, 15 EUR 
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Wir leben in einer durchpsychologisierten Gesellschaft. Selbsthilfegruppen schießen wie Pilze aus dem Boden, Beziehungsratgeber erzielen gigantische Auflagen und die Einschaltquoten von Serien wie "Die Sopranos" oder Pseudo-Dokus wie "Zwei bei Kallwass" lassen die Herzen der Programmacher ... 

Illouz, Eva: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004

Cover: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3518584596, Broschiert, 170 Seiten, 14,80 EUR
Wer in diesem Buch die Annahme bestätigt bekommen möchte, dass der Kapitalismus zu einer distanzierten, kühlen und unemotionalen Welt geführt habe, in der sich ökonomisches Handeln und das Reich der authentischen Gefühle unversöhnlich gegenüberstehen, wird sich verwundert die Augen reiben. Die israelische ... 

Illouz, Eva: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus

Cover: Der Konsum der Romantik
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3593372010, Kartoniert, 322 Seiten, 24,90 EUR 
Aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn. Mit einem Vorwort von Axel Honneth. Zu den kulturellen Widersprüchen, die den Kapitalismus kennzeichnen sollen, gehört der Gegensatz von romantischem Liebesideal und der kalten Welt der Ökonomie. Das in den USA preisgekrönte Buch zeigt dagegen auf, inwiefern die beiden Sphären ..

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen