15 Oktober 2011

Lesen macht klug und schoen 486 - Margareta Fuchs/Veronika Krapf - Von wilden und weisen Frauen

Keine Sagengestalt verkörpert die Schönheit und Erhabenheit des Hochgebirges so vollkommen wie die Saligen Fräulein. Von der Schweiz bis Slowenien, von Österreich bis Südtirol - überall im Alpenraum berichten Sagen vom Zauber und der Anmut dieser Bergfeen.

Margareta Fuchs/Veronika Krapf - Von wilden und weisen Frauen
150 geheimnisvolle Frauen-Sagen aus Tirol



Loewenzahn verlag
ISBN 978-3-7066-2443-5
€ 19.95
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Seit jeher ziehen uns jahrhundertealte Märchen und Sagen in ihren geheimnisvollen Bann. Ganz besonders spürbar wird ihre mysteriöse Anziehungskraft in den vielgestaltigen Frauenfiguren. Wer aber kennt heute noch die Stampe, die Trute oder die Fangga? Wie wurde die einstmals Weise Frau zur gefährlichen Hexe, die es zu bekämpfen galt?
Die Sagen in diesem Buch rücken die weibliche Seite der Märchen und Mythen in den Vordergrund. Sie erzählen von vergessenen Königinnen und Seherinnen, von wilden, unzähmbaren und frommen, heiligen Frauen, von Schamaninnen und Dienstmägden, von Sinnlichkeit und Zerstörung.
Margareta Fuchs und Veronika Krapf sind seit Jahren leidenschaftliche Märchen- und Sagenerzählerinnen. Mit ihrer einzigartigen und umfassenden Auswahl bewahren sie diese besonderen Frauengeschichten vor dem Vergessen.
Von Nordtirol über Ost- und Südtirol bis ins ampezzanische Dolomitengebiet und ins Trentino haben sie die schönsten Sagen zusammengetragen und geben dazu viele spannende Hintergrundinformationen – eine begeisternde Lektüre für Jung und Alt, für Laien und Kenner, für alle, die sich gerne von uralten Sehnsüchten und Träumen mitreißen lassen.

Des Nachts, vor allem zur Winterzeit, war es besser, im Haus zu bleiben. Die Nachtwelt gehörte anderen Wesen, seltsamen und unberechenbaren, guten und weniger guten, bedrohlichen und gefährlichen. Und manchmal, und das war das Schlimmste, was geschehen konnte, tauchte die Grostàna auf. Aus
der Ferne sah sie aus wie eine riesige sich bewegende Fichte, aber im nächsten Augenblick war sie auch schon da, und wen sie im Freien antraf, der wurde von ihr ausgelöscht, aufgesaugt in die riesige, tintige Masse ihres Körpers …



Was dieses Buch von herkömmlichen Sagenbüchern unterscheidet ist das Bemühen der Herausgeberinnen um eine tief greifende Auseinandersetzung mit dem übermittelten Inhalt jeder einzelnen Sage. Das Vorwort und die Einleitungen zu jedem der im Buch enthaltenen 10 Kapitel geben eine Fülle von Hintergrundinformationen, die die gesammelten Sagen aus dem Wissen der Sprachkunde, der Bräuche sowie feministisch-matriarchaler Forschung wieder nahe ihrer ursprünglichen Bedeutung zugänglich werden lassen. Patriarchatsbedingte Verzerrungen in der Übermittlung der Sagen werden aufgezeigt und weitgehend durch matriarchales Wissen wieder zu ihren urprünglichen Aussagen zurückgeführt.

Zum Verständnis der in den ersten beiden Kapiteln des Buches zusammengestellten Sagen über “Fangga und Riesin” sowie “Perchta / Stampe” wäre es allerdings wichtig, die einzelnen Sagen in Bezug auf die einschneidenden patriarchalen Verzerrungen im Bezug auf die vorgebliche Hässlichkeit, Dummheit und Grausamkeit der Riesinnen, unserer Vormütter, klar als vorsätzliche Missinformation im Zuge der Entstehung des Patriarchats zu benennen und zu reflektieren.

Die Herausgeberinnen haben jede einzelne Sage mit von ihnen gesammeltem Wissen zu den traditionellen Hintergründen und Gebräuchen versehen, wodurch die Sagen insgesamt besser verständlich werden. Unter diesem “Wissenswerten” finden sich auch zahlreiche sprachkundliche Beiträge, die den Zusammenhang von “nomen est omen” beleuchten. Die Herausgeberinnen bieten im “Wissenswerten” auch ein umfängliches Frauenwissen in Bezug auf Ge-Schichte, Tradition (Bräuche) und Kultur (Hege) an, die den Lesenden den Zugang zu den innewohnenden Botschaften der übermittelten Sagen anbieten.






ÜBER DIE AUTORINNEN:
Margareta Fuchs
geb. 1957, Zaunreiterin zwischen Zivilisation und Wildnis, Märchenerzählerin, lebt in Brixen.  (Sozialassistentin, Natur- und Landschaftsführerin, Märchen- und Sagenerzählerin, Pilgerbegleiterin, Buchautorin)


Veronika Krapf (Teis/Villnöß. Lehrerin, Erlebnispädagogin mit langjähriger Erfahrung im naturpädagogischem Bereich, Natur- und Landschaftsführerin, Märchen- und Sagenerzählerin, Buchautorin)    


Margareta Fuchs und Veronika Krapf sind die Autorinnen des einfühlsamen Buches "von wilden und weisen Frauen" 150 geheimniswolle Frauen-Sagen aus Tirol
Ein Exkurs in die Tiroler Sagenwelt
Das im Herzen der Alpen gelegene Tirol war mit seinen Passübergängen von jeher ein wichtiges Durchzugs- und Verbindungsland. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass verschiedene alte Kulturen hier ihre Fußabdrücke hinterlassen haben, und so lassen sich auch in den TirolerSagenfiguren unterschiedlichste Spuren dieser Völker erkennen, wie rätische, venetische, römisch/mediterrane, etruskische, keltische und germanische. Auffallend sind die Parallelen zu den Mythenfiguren anderer Völker und Kulturen.
Von seltsamen und geheimnisvollen Wesen erzählen zahlreiche Tiroler Sagen. Besondersfacettenreich sind die Frauengestalten in der Tiroler Sagenwelt, auf die wir in unserem Beitrag den Schwerpunkt setzen wollen. Aus Platzgründen werden hier nur einige Beispiele zu den Tiroler Frauengestalten genannt:

 Stampe/Stempa oder auch Percht/Berchta:
sie tritt in den Tiroler Sagen als Seelenführerin, als Fruchtbarkeitsgöttin, als Anführerin der Wilden Jagd, als göttliche Aufseherin im landwirtschaftlichen Leben (Spinnen, Weben, Ackerbau usw.) in Erscheinung. Um sie gütig und freundlich zu stimmen, wurden ihr vor allem in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar Speiseopfer dargebracht; in Haus, Stall und Hof musste ihr geräuchert werden.
Diese Nacht hieß vielerorts „Stampennacht“. Die Angst vor der schrecklichen „Berchte“ war früher so groß, dass man sich in dieser Nacht kaum ins Freie wagte, ja sich nicht einmal getraute, laut zu reden. Wer husten musste, tat dies in den „Mohn-Stampf“ hinein, um das Geräusch abzudämpfen. Im letzten Jahrhundert wurde aus der „Stampennacht“ die „Hl.-Drei-König-Nacht“, deren Namen (C-M-B) nunmehr bei der nächtlichen Räucherung als Schutzritual auf Haus- und Hoftür geschrieben wird.
 Trute/Trude:
Sie kommt nachts an die Betten der Schlafenden und drückt sie fast zu Tode. In einigen Gegenden ähnelt sie einer verwandlungsfähigen Vampirin, die ihren Opfern das Blut aussaugt. Der Drang des Drückens ist ihnen angeboren, da sie entweder in einem bestimmten Zeichen das Licht der Welt erblickten oder die Wehmutter sich eines Zaubermittels bediente oder die Mutter bei der Geburt den Teufelsnamen anrief.
In abgelegenen Tälern des Trentino, das bis vor ca. 100 Jahren ein Teil Tirols war, haben in den Sagen die „Smàre“ überlebt: große, schwarz gekleidete Frauen erscheinen des Nachts an den Betten schlafender Menschen, um sie zu ersticken. Einen ähnlichen Namen trug auch die baskische Todesgöttin: nämlich Màri.
Unzählige Schutz- und Heilmittel haben in Tiroler Volksmedizin und Aberglauben überlebt, um sich gegen diese schauerliche Frauenfigur zu schützen.
 Selige oder Salige:
Unter vielen Namen in der Tiroler Sagenwelt bekannt ist die Selige oder Salige, das Wilde Fräulein oder die antrische Dirn, Gana oder Vivanaeine Art „göttliche Magd“.
Ihr Wirkungsfeld ist vielschichtig und geheimnisvoll. Sie überbringt den Menschen neues Wissen (z.B. wie man Käse herstellt oder wo wertvolle Bodenschätze lagern) und hilft ihnen aus großer Not. Sie ist Herrin der Tiere (vor allem die Gämse ist ihr Schutz- und Begleittier), aber auch Taube, Adler und Schlange sind an ihrer Seite zu finden. Seltsame Sagen von Schlangen und Schlangenköniginnen haben in der Tiroler Sagenwelt und weit darüber hinaus überlebt.
 Mit diesen Tieren traten einst auch die mächtigen Göttinnen des alten Europas in Erscheinung. Somit könnte man behaupten, dass diese Göttinnen im Herzen der Alpen zumindest in den Volkssagen „überlebt“ haben: zurückgedrängt in die unberührte Natur, in die Tiefen der Wälder, in unwegsame Täler und Steinhalden.
 Hexe:
Viele Tiroler Sagen handeln vom Wesen und Wirken der Hexe.
In diesen Geschichten ist erkennbar, wie im Laufe von Jahrhunderten aus der einstmals hochgeschätzten Weisen Frau die gefährliche Hexe wurde, die es zu bekämpfen galt. Doch kann im Sagenkern oftmals weibliches Schamanentum erahnt werden und große Angst vor ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten. Viele Tiroler Sagen ranken sich um ihre unglaubliche Verwandlungsfähigkeit und um nächtliche Ausritte: dies deutet darauf hin, dass auch dieTiroler Hexe auf ihren Ausflügen möglicherweise ihre Seele auf die Reise schickte um mit denkosmischen Kräften und den Geistmächten in Verbindung zu treten.


Fangga:
Eine andere faszinierende, kaum mehr bekannte Gestalt in der Tiroler Sagenwelt ist die Fangga: ein grauenerregendes Riesenweib, über und über borstig behaart, im Besitz übermenschlicher Kräfte. Ihr Leben ist an Bäume oder Wälder gebunden. Wird ihr Baum/Wald gefällt oder gerodet, verschwindet auch die Fangga.
Auch diese Sagen weisen in die Zeit des Beginns der Christianisierung zurück. Fanggen dienen oft als Mägde bei den Menschen, doch wollen sie von christlich-religiösen Dingen nichts hören, haben Scheu vor Gebeten und Glockengeläute.
Die Fanggen erinnern an die Dryaden in der griechischen und römischen Mythologie. Auch deren Leben war an das Leben von Bäumen gebunden. Kein Baum durfte gefällt werden, ohne vorher die Baumnymphen anzurufen. Geschah dies doch, wurde der Frevler grausam bestraft
Eine ähnliche Sagengestalt ist die Bregostàna in einigen ladinischen Tälern. Sie ist in der Wildnis zuhause und kann mitunter Mensch und Tier sehr gefährlich werden. Am liebsten ernährt sie sich von dem Gedärme ihrer Opfer. Ähnliches wird manchmal auch der Hekate nachgesagt.


Heilige und Heiligenlegenden:
Mit der Konsolidierung des Christentums traten auch in Tirol christliche Heilige an die Stelle vorchristlicher Gottheiten. Interessant und spannend sind deshalb auch die Heiligenlegenden, denn häufig scheinen sie ÜberlieferungsträgerInnen uralter Mythen zu sein.
Viele dieser Geschichten lassen Zeiten erahnen, in welcher das Wissen um die Bedeutung des Weiblich-Göttlichen allgegenwärtig und eine tiefe Verbundenheit zur Natur und zu allen ihr innewohnenden Wesen noch selbstverständlich waren.
Überhaupt spielen die weiblichen Heiligen in Tirol eine wichtige Rolle: in den 280 Südtiroler Pfarreien sind 100 Kirchen heiligen Frauen geweiht, viele davon stehen auf alten Kultorten. Als Beispiel sei die Kirche von Meransen bei Mühlbach genannt. Hier werden seit Jahrhunderten die Hl. Drei Jungfrauen Aubet, Cubet und Quere verehrt. Bei Restaurierungsarbeiten vor ca. 10 Jahren wurde im Erdinnern unter der Kirchenmitte ein (Kult)Felsen gefunden, an welchem links und rechts ein Wasserrinnsal vorbei geflossen ist.
Besonders die Verehrung Mariens tritt in Tiroler Sagen und Legenden mit Wasser-, Baum- und Bergkult in Erscheinung. Marienbildnisse sind laut Legenden oftmals in Bäumen „gewachsen“ („Kaserererbild“ bei Gummer/Steinegg; Maria Waldrast bei Matrei); aus der Erde gepflügt (z.B. Maria Saalen bei Bruneck); auf Bergeshöhe zu finden (Unsere Liebe Frau auf der Brettfall/Zillertal) oder in Wassernähe/Sumpf (Schmerzhafte Muttergottes von Riffian/Passeiertal; Maria vom Moos in Bozen, Unsere Liebe Frau im Walde am Deutschnonsberg).


Magisches Tirol – einige Beispiele
In ganz Tirol gab es als „heilig“ geltende Bäume, oft auch „Betbäume“ genannt. Ein solcher befand sich z.B. bei Nauders in Nordtirol, in der Nähe vom Reschen, dem heutigen Grenzübergang zwischen Südtirol/Italien und Nordtirol/Österreich. Die Verehrung dieser doppelspitzigen Lärche auf dem „Heilig-Baum-Boden“ war so groß, dass auf diesem Ort weder geflucht, gelärmt noch gestritten werden durfte. Unter dem Baum stand ein heidnischer Opferaltar, welcher laut Überlieferung vom Hl. Valentin, Missionierungsbischof der Räter (gestorben 475) zerstört worden ist. Der Baum selbst wurde erst im 19. Jh. gefällt.
Ein anderer heiliger Baum steht z.B. am sagenhaften Birchboden oberhalb Lengstein am Ritten. Mit der Seele dieser uralten Lärche stand laut Sage eine hier wohnende Seherin in Verbundenheit. Laut Volksüberlieferung trafen sich auch die Hexen hier zu gemeinsamem Tanz, Mahl und feuerkultischen Ritualen; für Männer war die Teilnahme allerdings „tabu“. Auch eine „Felsenrutsche“ befindet sich hier.
Viele Tiroler Sagen stehen mit einem klar benannten Ort, Berg, Gewässer, Schloss usw. in Zusammenhang. Solche Erzählungen erweisen sich oft als Wegweiser zu außergewöhnlichen und geschichtsträchtigen Plätzen, zu christlichen und vorchristlichen Kultorten.
In jedem Alt-Tiroler Tal sind solche Sagen und Plätze seit Jahrhunderten überliefert.
Der Schlern beispielsweise ist in der Sagenwelt einer der berühmtesten Hexentanzplätze Tirols, gleichzeitig eine uralte heilige Kult- und Brandopferstätte. Weiheopfer von der Bronze- bis in die Römerzeit wurden hier gefunden.
Viele Tiroler Berge galten bei den Einheimischen seit jeher als Sitz von Gottheiten oder Geistern: so ist der höchste Berg Südtirols, der Ortler im Vinschgau, laut Sage Thron der heidnischen Götter.
In einer Dolomitensage wird von der Wintergöttin Samblàna auf dem Antelào im ampezzanischen Dolomitengebiet erzählt…


  • Margareta Fuchs/Veronika Krapf:
    "Von wilden und weisen Frauen: 150 geheimnisvolle Frauen-Sagen aus Tirol "
    Verlag Loewenzahn, Innsbruck 2008

    Eine wunderschönes Buch! Auf 328 Seiten lesen wir von vergessenen Königinnen und Seherinnen, von wilden, unbezähmbaren Frauen, von frommen und auch weniger frommen Frauen, wie z.B. der Stampa, der Trute, der Fangga. Wir begegnen Schamaninnen und Dienstmägden, lesen von Sinnlichkeit und Zerstörung, ...
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Keine Sagengestalt verkörpert die Schönheit und Erhabenheit des Hochgebirges so vollkommen wie die Saligen Fräulein. Von der Schweiz bis Slowenien, von Österreich bis Südtirol - überall im Alpenraum berichten Sagen vom Zauber und der Anmut dieser Bergfeen. 

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