12 Februar 2012

Lesen macht klug und schoen 574 - Astrid Ofner/Claudia Siefen/Stefan Flach (Hg.) - Chantal Akerman


„Wollte ich das Kino von Chantal Akerman in einem Satz zusammenfassen, würde ich mich für die Formulierung ‚Missbehagen von Körpern in Räumen‘ entscheiden.“
Jonathan Rosenbaum



Astrid Ofner/Claudia Siefen/Stefan Flach (Hg.) - Chantal Akerman

 



Eine Publikation der Viennale 2011
Schüren Verlag
200 S., geb.,
ISBN 978-3-89472-744-4
Euro 19,90

hier bestellen (Ab 25 € ist der Versand kostenfrei)



Chantal Akermans Filme lassen sich keinem Genre zu ordnen. Und das nicht nur, weil sie sich durch eine große – moderne – Vielfalt an Themen und filmischen Herangehensweisen auszeichnen, sondern, viel einfacher, weil die Regisseurin eine Frau ist und sie sich vornehmlich für die Lebenswelt von Frauen interessiert.
Die Empathie, die Akerman für ihre Figuren hat, findet ihren Ausdruck in langen, durchkomponierten und oft statischen Einstellungen, die man so – als eine Art distanziertes Gefühlskorrelat – bei keinem anderen Regisseur sieht. So entsteht z.B. in dem dreieinhalbstündigen Jeanne Dielman, mit dem sie international bekannt wurde, für den Zuschauer so etwas wie eine Trance, in welcher er der Realität der Hauptfigur wie in einem eigenen Traum gegenübertritt.
"Wollte ich das Kino von Chantal Akerman in einen Satz zusammenfassen, würde ich mich für die Formulierung "Missbehagen von Körpern in Räumen" entscheiden". J.Rosenbaum

Eine Retrospektive der VIENNALE 2011

Auf die Frage, wer er sei, sagte einer der größten Filmregisseure einmal: "My name is John Ford and I make westerns." Es ist über 60 Jahre her, dass er diese unschlagbare Antwort gab. Abgesehen davon, dass sie nicht ganz richtig ist, da Ford in vielen Genres gearbeitet hat, gibt sie eine einfache und gerade Ausrichtung seines Schaffens an. Bei Regisseuren der europäischen Kinomoderne seit den 1960ern ist es dagegen kaum möglich, ihre Werke ähnlich knapp auf den Punkt zu bringen. Für die Filme von Chantal Akerman, der die Viennale und das Österreichische Filmmuseum ihre diesjährige Retrospektive widmen, fällt es ganz besonders schwer. Und das nicht nur, weil sie sich durch eine große – moderne – Vielfalt an Themen und filmischen Herangehensweisen auszeichnen, sondern, viel einfacher, weil die Regisseurin eine Frau ist. Denn anders als etwa bei Ford, bei dem man ganz fraglos hinnimmt, dass er ein Mann war, dessen Filme in einer Männerwelt zuhause sind, fühlt man sich bei Akerman immer wieder bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass sie a) Filme macht, die sich vornehmlich für die Lebenswirklichkeit von Frauen interessieren, und b) selbst eine ist. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es nämlich noch immer nicht selbstverständlich, dass eine Frau, die obendrein aus einem kleinen Land wie Belgien stammt, seit inzwischen über vierzig Jahren an einem völlig eigenständigen filmischen Werk arbeitet, das sie als Autorin allein verantwortet.

1950 geboren, gehört Akerman zur ersten Generation französischsprachiger Filmemacher nach der Nouvelle Vague. Doch anders als viele ihrer männlichen Kollegen, hat sie ihre Filme ohne den Rückhalt einer Zugehörigkeit gemacht. Nachdem sie mit 18 Jahren die Brüsseler Filmhochschule ohne Abschluss verlässt, dreht sie ihren ersten Film Saute ma ville (1968) mit sich selbst in der Hauptrolle und praktisch ohne Geld. Von Anfang an setzt sie sich mit der Isolation von Menschen und besonders Frauen auseinander, die, wie die Hausfrau in Jeanne Dielman (1975), keine Möglichkeit finden, sich über die Eintönigkeit ihres Alltags zu erheben. Dabei findet die Empathie, die Akerman für ihre Figuren hat, einen seltsamen Ausdruck in langen, durchkomponierten und oft statischen Einstellungen, die man so – als eine Art distanziertes Gefühlskorrelat – bei keinem anderen Regisseur sieht. So entsteht z.B. in dem dreieinhalbstündigen Jeanne Dielman, mit dem sie international bekannt wurde, für den Zuschauer so etwas wie eine Trance, in welcher er der Realität der Hauptfigur wie in einem eigenen Traum gegenübertritt.

Ähnliches geschieht in drei Filmen, die sich dem Leben in Osteuropa (D'est, 1993), den Südstaaten der USA (Sud, 1999) und dem amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet (De l'autre côté, 2002) zuwenden – und zwar über eine filmische Vergegenwärtigung von Landschaften und Städten. Hierbei entstehen Einsichten, die der Zuschauer in jenes Leben gewinnt, Gefühle, die in ihm hochkommen, immer durch den genauen, sich selbst genügenden Blick auf die Orte, die die Filme zeigen. Ganz anders geht es zu in Un divan à New York (1996) oder Demain on déménage (2004), die das Kunststück fertigbringen, ebenso feinsinnige («pariserische») wie raubeinige («amerikanische») Komödien und dabei immer auch Filme von Chantal Akerman zu sein.

Darüberhinaus wird ihr jüngster Film La folie Almayer (2011), eine Adaption des ersten Romans von Joseph Conrad, zu sehen sein, ebenso wie 14 Filme anderer Regisseure, die Akerman besonders wichtig sind und die sie als Carte Blanche eigens für die Retrospektive ausgewählt hat, darunter F.W. Murnau, Robert Bresson, Gus van Sant, Douglas Sirk, Michael Snow, Straub/Huillet, Jacques Demy und anderen.

Das Buch versammelt Interviews, Essays und Kritiken zu Akermans Werk.

Chantal Akermann: Vielseitige Künstlerin bei der Viennale

49. Viennale: Filmmuseum startet Retrospektive zu Chantal Akerman

Filmemacherin Chantal Akermann ist Stargast auf der Viennale. Hier: Aus ihrem Film "Demain on déménage"

 

Akerman selbst wird auch als einer der prominenten Regiegäste Ende Oktober bei der Viennale erwartet, nachdem sie außerhalb der Konkurrenz bei den Filmfestspielen Venedig ihren neuen Film “La Folie Almayer” vorgestellt hatte. Ãœberdies wird anlässlich der bis 3. November laufenden Retrospektive eine Publikation zur Filmemacherin erscheinen, die Interviews, Essays und Kritiken zu ihrem Werk vereint.
Geboren wurde Chantal Akerman am 6. Juni 1950 in gutbürgerlich-jüdische Brüsseler Verhältnisse, in eine vom Holocaust geprägte Familie. Durch Godard und Michael Snow fand die junge Akerman bald Gefallen am Film und inskribierte an der staatlichen Filmschule. Das Studium schmiss sie allerdings bald und wandte sich mit ihrem Erstlingswerk “Saute ma ville” (1968) der praktischen Filmarbeit zu. 1972 entstand mit “Hotel Monterey” ihr erstes längeres Werk: Lange Kamerafahrten und sprunghafte Montage als neues Charakteristikum.

Mit “Je tu il elle”, ihrem ersten Spielfilm, begann die Auseinandersetzung mit dem Thema der bürgerlichen Frau, gefangen in ihrer Rolle – was Akerman in “Les Rendez-vous d’Anna” bis hin zu “Toute une nuit” variierte. In die erste Reihe der Autorenfilmer katapultierte sich Akerman 1975 mit “Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles”, ein synästhetisches Meisterwerk aus Bildern und Tönen. Mit dem Musical “Golden Eighties” (1986) bewies Akerman jedoch auch ihre Fertigkeiten in der Genrekritik. “Histoires d’Amerique” aus 1989 hingegen verdeutlicht ihr Bestreben, ein jiddisches Kino zu entwickeln.
Wie vielseitig Akermans Oeuvre ist, stellte die Filmemacherin nicht zuletzt mit “La Folie Almayer” unter Beweis – einer Joseph-Conrad-Verfilmung.
Die Retrospektive zu Chantal Akerman läuft im Österreichischen Filmmuseum von 6. Oktober bis 3. November. Mehr Informationen dazu HIER.


Die große Retrospektive der Viennale und des Österreichischen Filmmuseums ist in diesem Jahr der belgischen Filmemacherin Chantal Akerman (*1950) gewidmet. Der Schüren Verlag hat die dazu erschienene Publikation ins Programm genommen, herausgegeben von Astrid Ofner, Claudia Siefen und Stefan Flach (200 S., viele Abbildungen in guter Qualität, 19,90 €). Mit Beiträgen u.a. von Nicole Brenez, Jonathan Rosenbaum, Todd Haynes und Gus Van Sant, Texten zu 27-Akerman-Filmen, Beiträgen zu ihren 14 Carte-Blanche-Filmen und dem schönen Text “Neben seinen Schnürsenkeln in einem leeren Kühlschrank laufen”  von der Geehrten selbst. Christina Nord hat für die taz mit ihr ein Gespräch geführt:  www.taz.de/!79934/

Regisseurin Chantal Akerman

"Ich war ein altes Kind und bin es noch"

In Wien läuft eine Werkschau der großen Regisseurin Chantal Akerman. Ein Gespräch über Motive ihres Lebens, Essen, die Bibel und Psychoanalyse.

Interview: CRISTINA NORD

Eigensinnig: Chantal Akerman im September bei der Präsentation ihres jüngsten Films in Venedig.  


Seit inzwischen über vierzig Jahren arbeitet die aus Belgien stammende Regisseurin Chantal Akerman an einem völlig eigenständigen filmischen Werk, das sie als Autorin allein verantwortet, und das sich durch eine große - moderne - Vielfalt an Themen und Herangehensweisen auszeichnet.
Die diesjährige Viennale hat Chantal Akerman ihre Retrospektive gewidmet und gleichzeitig einen schönen Band herausgebracht, der Interviews, Essays und Kritiken zu Akermans Werk versammelt.

 Das etwa 30 Filme umfassende Werk Akermans ist extrem von ihrer Biografie geprägt. Nicht selten tritt sie selbst vor der Kamera auf, als Stubenhockerin oder als Neurotikerin einer Wohngemeinschaft, aber auch forschend, vermittelnd als Interviewerin. Das verweist auf ihr wechselndes Interesse an Privatsphären einerseits und an öffentlichen Ereignissen andererseits. Nachdem sie ihre Erzählungen der achtziger Jahre, »Toute une Nuit« (1984) über liebeskranke Nachtschwärmer in Brüssel oder die Erinnerungen und Humoresken von jüdisch-polnischen Emigranten in »Histoire D'Amerique« (1989), mit Vorliebe bei Nacht inszenierte, dringen in ihre Filme der jüngeren Zeit auffällig viel Tageslicht und die Außenwelt hinein, in die Reisedokumentationen oder auch in ihren neuesten Spielfilm »La Captive« (2000), nach einer Geschichte von Marcel Proust. Dessen Protagonist hegt allerdings Zweifel daran, dass seine Geliebte, wenn sie beim Küssen die Augen schließt, auch weiterhin an ihn denkt. Gewissermaßen entspricht dies dem Zwiespalt von Akermans Filmen. Ihre Räume des Privaten, Imaginären bestehen gleichrangig neben der äußeren Geschichte. Akermann, die aus solcher Spannung ihren Stil entwickelt, ist eine Regisseurin der von Wanderungsbewegungen geprägten Gesellschaft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen