Melinda Nadj Abonji - Tauben fliegen auf
Roman
9,90 Eur
Eine ungarische Familie aus Serbien in der Schweiz. Ein schwungvoll und gewitzt erzählter Roman aus der Mitte Europas.
Es ist ein schokoladenbrauner Chevrolet mit Schweizer Kennzeichen, mit dem sie zur allgemeinen Überraschung ins Dorf einfahren, und die Dorfstraße ist wirklich nicht gemacht für einen solchen Wagen. Sie, das ist die Familie Kocsis, und das Dorf liegt in der Vojvodina im Norden Serbiens, dort, wo die ungarische Minderheit lebt, zu der auch diese Familie gehört.Oder, richtiger, gehörte. Denn sie sind vor etlichen Jahren schon ausgewandert in die Schweiz, erst der Vater und dann, sobald es erlaubt war, auch die Mutter mit den beiden Töchtern, Nomi und Ildiko, und Ildiko ist es, die das hier alles erzählt. So auch den Besuch im Dorf, der dann nicht der einzige bleibt, Hochzeiten und Tod rufen sie jedesmal wieder zurück ins Dorf, wo Mamika und all die anderen Verwandten leben, solange sie leben.Zuhause ist die Familie Kocsis also in der Schweiz, aber es ist ein schwieriges Zuhause, von Heimat gar nicht zu reden, obwohl sie doch die Cafeteria betreiben und obwohl die Kinder dort aufgewachsen sind. Die Eltern haben es immerhin geschafft, aber die Schweiz schafft manchmal die Töchter, Ildiko vor allem, sie sind zwar dort angekommen, aber nicht immer angenommen. Es genügt schon, den Streitigkeiten ihrer Angestellten aus den verschiedenen ehemals jugoslawischen Republiken zuzuhören, um sich nicht mehr zu wundern über ein seltsames Europa, das einander nicht wahrnehmen will. Bleiben da wirklich nur die Liebe und der Rückzug ins angeblich private Leben?
Melinda Nadj Abonji
wurde 1968 in Becsej, Vojvodina, geboren. Sie ist Autorin, Musikerin und Textperformerin und lebt in Zürich. Für ihre Arbeit erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin und den Hermann-Ganz-Preis 2001.
Sie arbeitet als Autorin und Musikerin (Geige und Gesang). Nadj Abonji absolvierte zahlreiche Auftritte als Textperformerin (u.a. Literaturfestival Leukerbad, Solothurner Literaturtage, Internationales Literaturfestival Berlin, Theater la fourmi).
Seit fünf Jahren Zusammenarbeit mit dem Beatboxer und Raplyriker Jurczok 1001. Zahlreiche Beiträge für Literaturzeitschriften (u.a. drehpunkt) und Anthologien.
Ihr 2010 erschienener Roman ›Tauben fliegen auf‹ wurde sowohl mit dem Deutschen als auch dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Melinda Nadj Abonji lebt in Zürich.
http://www.lyrikwelt.de/gedichte/abonjig1.htm
Veröffentlichungen (Auswahl):
Der Mann ohne Hals und Canal Grande. In: Sprung auf die Plattform. Junge Schweizer Literatur. Nagel & Kimche 1998. Das Romandebüt erscheint im Herbst 2004 bei Ammann.
Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2010
Rezensentin Susanne Messmer gefällt der Roman, der gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Autorin Melinda Nadj Abonji, besonders angetan hat es ihr die Sprache. Diese sieht Messmer beeinflusst von Abonjis Erfahrungen als Spoken Word- und Slam Poetry-Performerin und wirkt dabei trotz verschachtelter Sätze nie "kompliziert oder verstiegen". Ein "rasantes Ganzes" ist die Sprache, und Messmer findet sie geradezu "perfekt" für die erzählte Geschichte. Doch auch die Themen, von denen die Autorin erzählt, das "mühsame Dazwischen" ihrer aus einer serbischen Provinz stammenden Familie nach der Immigration in die Schweiz, die "bleischwere Geschichte", die auf ihnen allen lastet, findet Messmer "toll".Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.10.2010
Karl-Markus Gauß hat der Roman der 1968 geborenen Schweizerin Melinda Nadj Abonji, der von der Sehnsucht nach dem "verwehten Glück" der Heimat und Kindheit handelt, ohne ins Idyllische abzugleiten, bezaubert. Die Autorin beschwört darin das Leben in der Vojvodina herauf, eine im heutigen Serbien gelegene autonome zentraleuropäische Region, von jeher Sammelbecken verschiedener Sprachen, Völker und Gerüche und aus eben diesen Gründen auch immer wieder Schauplatz kriegerischer Konflikte, wie sie unter anderem von Alexander Tisma und Danilo Kis für die Zeit des Nationalsozialismus beschrieben worden sind, so Gauß. Die Ich-Erzählerin Ildiko erlebt den zeitgenössichen Verlust der Heimat zweifach: Als junge Emigrantin und später als Schweizerin, die mit den aus der Vojvodina kommenden Kriegsflüchtlingen konfrontiert wird. Aus diesem Zwiespalt heraus entwickelt Nadj Abonji ein kritisches Bild des "Lebens zwischen zwei Welten", das der "deutschsprachigen Literatur neue Themen, Schauplätze und Klänge" hinzufügt, wie der Rezensent konstatiert.Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.10.2010
Gleich doppelt auf den Bestenlisten verzeichnet ist dieser Roman - der deutschen wie der Schweizer nämlich. Und zwar zu Recht, findet Rezensentin Sibylle Birrer, die darin die "zeitgemäße" Form, sich literarisch mit dem Thema der inneren Immigration zu befassen, erkennt. Biografisch nah steht die Ich-Erzählerin Ildiko der Autorin, beide befinden sich als Schweizerin in der Schweiz vor vojvodina-serbischem Migrationshintergrund. Ildiko hält dabei den Blick sowohl auf die stets etwas prekäre Nationalzugehörigkeit ihrer Gegenwart wie in Rückblenden auch auf die Vergangenheit, die mal idyllisch scheint, mal aber auch als brutales Leben in der Tito-Diktatur dargestellt wird. Nicht nur die brennend aktuellen Themen machen das Buch so spannend, lobt die Rezensentin, sondern auch der "Beat" und die "Melodik" der "Sprachperformerin" Abonji.Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.10.2010
An diesem Buch findet Rezensentin Judith von Sternburg vieles erfreulich. Vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der die Autorin aus ihr nur zu vertrauten Lebensumständen gelungene, lesenswerte Literatur zu machen verstehe. Wie ihre Ich-Erzählerin Ildiko kam Melinda Nadj Abonji als Kind mit ihren Eltern aus Serbien (aus der ungarischsprachigen Vojvodina, genauer gesagt) in die Schweiz und ist nun, wie - nach zwei Anläufen die Eltern auch - Schweizerin. Warum das aber so einfach nicht ist mit dem Schweizerinsein, das schildere Abonji ebenso mit Detailkenntnis, Witz und sprachlicher Geschmeidigkeit wie ihren Abnabelungsprozess von den Eltern. Dies Buch, lobt von Sternburg, gibt Denkanstöße und stehe insgesamt sehr zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.09.2010
"Sympathische Unreife" bescheinigt Rezensentin Iris Radisch diesem Roman. Seine jugendliche Protagonistin pflüge sich mit ihren tastenden wie atemlosen Endlossätzen durch eine unbekannte Umwelt, und erzähle eine "mustergültige Einbürgerungs- und Erfolgsgeschichte", die aus Rezensentinnensicht. Eltern und Tochter kommen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aus Serbien in die Schweiz, arbeiten fleißig und bringen es zu einem eigenen Cafe. Gegen diese Integration durch "Überanpassung" setzt Abonji eine kunterbunte Kinderbalkanwelt, wo alles so schön wäre, wenn nicht ständig geschossen werden würde. Diese naiv-herzigen Postkartenansichten der alten Heimat freilich gehen der Kritikerin auch ein wenig auf die Nerven. Die um Originalität bemühte Teenagersprache scheinbar auch. Insgesamt lobt sie aber die "Frische" dieses Debütromans.Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.09.2010
Dieser Roman steht zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, meint Andrea Diener. Schon die ersten Sätze von Melinda Nadj Abonjis Geschichte aus Serbien, Ungarn und der Schweiz, von Familienfesten, Sommerdatsche und dem Einbruch des Krieges, nehmen sie gefangen. Die Sprache klangvoll, malerisch, die Figurenzeichnung, bei aller Kompliziertheit der dargestellten inneren und äußeren Konflikte, lassen die Rezensentin umstandslos am Schicksal der Personen, ihrer Sehnsucht und ihrer Hilflosigkeit teilnehmen. Und dann kommt der Text mit einer Direktheit daher, die nichts verharmlost, so dass Diener erkennt: Krieg ist Krieg. Und dies ein sehr gelungener Roman.Eine junge Ex-Jugoslawin, die nicht Serbokroatisch spricht, weil sie aus der ungarischen Minderheit kommt, soll Schweizern Mitte der 1990er Fragen zum Balkankrieg beantworten. Wie es ihrer Familie gehe? Ob sie schon das Neueste gehört habe? Da hilft nur freundlich nicken und weiter abservieren.
Reisen in die Vojvodina
Sie erzählt in lose aneinander anknüpfenden, nicht chronologisch geordneten Episoden von ihrem Aufwachsen in der Schweiz und auch von den Reisen zurück in die Heimat, die Vojvodina, wo die Onkel, Tanten und die Großmutter noch auf Bauernhöfen leben und arbeiten. Aufwachsen im Dazwischen
Von der Vojvodina in die Schweiz, mehrmals hin und zurück – der Roman erzählt von einem Aufwachsen im Dazwischen und auch vom Balkankrieg, der durch Anrufe, Briefe und Augenzeugen in greifbare Nähe rückt. Er fragt auch – Ildiko fragt sich – was Ankommen bedeutet und bis zuletzt, wie es sich anzufühlen hat.
Von Sabine Schönfellner
Überraschung am Vorabend der Frankfurter Buchmesse: Der Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr erstmalig in die Schweiz. Melinda Nadj Abonji habe mit dem Roman "Tauben fliegen auf" das "vertiefte Bild eines gegenwärtigen Europa" gezeichnet, lobte die Jury.
Hochgelobte Romane auf die Plätze verwiesen
Mit ihrer Balkan-Story hat Abondji so hochgelobte Bücher wie Peter Wawerzinek "Rabenliebe" und den moderne Heimatroman "Dinge, die wir heute sagten" von Judith Zander auf die Plätze verwiesen. Außerdem waren auf der Shortlist 2010: Jan Faktors Burleske "Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag", Thomas Lehrs avantgardistische Geschichte "September" sowie der Roman "Andernorts" von Doron Rabinovici über eine jüdische Familie.
In der siebenköpfigen Jury, die jedes Jahr neu gewählt wird, sitzen Literaturkritiker, darunter in diesem Jahr Julia Encke ("FAZ"), Burkhard Müller ("SZ") und Ulrich Greiner ("Die Zeit"). Die Auswahl trifft eine vom Börsenverein eingesetzte "Akademie Deutscher Buchpreis". Diesem elfköpfigen Gremium gehören neben Vertretern der Buch- und Medienbranche auch Kultur-Staatsminister Bernd Neumann und der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, an.
Im vergangenen Jahr gewann der Roman "Du stirbst nicht" von Kathrin Schmidt den Hauptreis. In der Shortlist befand sich auch "Atemschaukel" der letztjährigen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. In den Jahren zuvor gewannen unter anderem Uwe Tellkamp ("Der Turm") und Julia Franck ("Die Mittagsfrau").
Wenn die Fremde zur Heimat werden muss
Melinda Nadj Abonjis Roman ist ein Lichtblick im Schweizer Literaturjahr. Und steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
«Schweizerinnen bevorzugt»
Das begreift Ildiko, je älter sie wird, immer besser, und sie weiss doch, dass Verständnis nicht hilft. Sie, die Seconda, muss einen eigenen Weg finden in dieser Schweiz. Fast mit Erschrecken merkt sie, dass sie selbst bei einer Stellenausschreibung für den Familienbetrieb schreibt: «Schweizerinnen bevorzugt». Hier ist sie ihren Eltern, die durch Überkompensation ihrer Ausländerschaft schon zu Superschweizern geworden sind, ähnlicher, als ihr bewusst ist und lieb sein kann – dies nur ein Beispiel für die enorm präzise psychologische Beobachtungsgabe dieser Autorin.
Melinda Nadj Abonji, deren vielversprechender erster Roman «Im Schaufenster im Frühling» (2004) noch unter einem etwas verkrampften Kunstwillen litt, hat mit «Tauben fliegen auf» ein in seiner Art nahezu perfektes Buch geschrieben, in einer Sprache, die sich ebenso der mündlichen Rede anschmiegen kann wie zu Assoziationsflügen hoch hinauf- und davonschwingen. Ein Lichtblick in einem nicht gerade überreichen Schweizer Literaturjahr. Dass der Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gesetzt wurde, zeigt, dass er auch über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung findet. Nun sollte er viele Schweizer Leser finden – Alt- und Neuschweizer Leser.
Bücher von Melinda Nadj Abonji
Nadj Abonji, Melinda: Im Schaufenster im Frühling. Roman
DTV, ISBN 978-3-423-14150-5
Oktober 2012
Oktober 2012
8,90 Euro
erscheint als Taschenbuch
Es geht um Luisa. Sie ist wie die anderen Kinder, aber aufmerksamer. In ihrer Welt muss man Acht geben. Manches klingt wie ein Märchen, aber es ist kein lustiges Märchen. Die Jahre vergehen: Erst ist Luisa ein kleines Mädchen, dann ist sie ein Mädchen und dann, ja, was ist sie dann? Dann ist sie älter geworden, ...Am liebsten hält Luisa sich im Friseursalon von Herrn Zamboni auf. Für sie ist er der Inbegriff von Geborgenheit. Dort duftet es nach Shampoo und Schönheit, es gibt Tee und Geschichten, und im Schaufenster schläft der kleine Hund des Friseurs. Dort ist es friedlich - ganz anders als bei ihr zu Hause. In eindringlichen Szenen erzählt Melinda Nadj Abonji von Gewalt in der Familie, von Verletzungen und einer Ahnung vom Glück.
http://www.lyrikwelt.de/gedichte/abonjig1.htm
Veröffentlichungen (Auswahl):
Der Mann ohne Hals und Canal Grande. In: Sprung auf die Plattform. Junge Schweizer Literatur. Nagel & Kimche 1998. Das Romandebüt erscheint im Herbst 2004 bei Ammann.
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