10 Dezember 2011

Lesen macht klug und schoen 535 - Gerlind Reinshagen - nachts

Gerlind Reinshagen - nachts

Roman
nachts


Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN-13 9783518422472
16,90 EUR 
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Wirklich – was soll man von Leuten halten, die von heute auf morgen ihr Leben auf den Kopf stellen? Die, anstatt zu schlafen, ganze Nächte vertelefonieren? Die, gegen alle Gewohnheit, ihre geheimsten Gedanken preisgeben, aber dennoch sich niemals sehen wollen?
Jemand hat sich verwählt. Statt aufzulegen beginnt er zu sprechen. Eine Verbindung entsteht, rein zufällig. Zwei Personen – ein älterer Arzt, eine junge Frau, Schneiderin, die beide ihre Arbeit lieben, doch im Verlauf ihrer Unterhaltungen anfangen, daran zu zweifeln. Die über das virtuelle Leben ihrer nächtlichen Gespräche lachen, doch gleichzeitig fürchten, verrückt zu sein. Oder dafür gehalten zu werden.
Was verbindet die beiden überhaupt? Ist es Freundschaft? Geistesverwandtschaft? Liebe – aber in welcher ihrer tausend Spielarten? Wie kommt es, daß sie dauernd streiten und dennoch nicht mehr auseinanderfinden? Es kann nicht einfach der Gewohnheit zuzuschreiben sein oder dem Hunger nach Abwechslung, nicht einmal ihrer geradezu lächerlichen Einsamkeit. Ist es die Angst der Jüngeren vor dem Leben? Die Angst des Älteren vor dem Tod? Der Kampf zwischen Alt und Jung bis aufs Blut? Die Fragen türmen sich mit der Zeit, aber solange gefragt, solange weitergesprochen wird, ist es, als könnte alles, was doch unaufhaltsam geschieht, eingeholt und zurückgehalten werden – wirklich?





Foto: Gerlind Reinshagen

Gerlind Reinshagen, geboren am 4. Mai 1926 in Königsberg. 1944 Abitur in Halberstadt, anschließend Apothekerlehre. 1946 - 1949 Studium der Pharmazie in Braunschweig. 1953 - 56 Studium an der Hochschule der Künste in Berlin. Seit 1956 freie Schriftstellerin; zahlreiche Romane, Theaterstücke und Hörspiele. Lebt in Berlin. Mitglied des PEN-Zentrums und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.

Pressestimmen:

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 01.11.2011

Ganz ohne Feierlichkeit geht das nicht ab, wenn jemand sein Leben erzählt, sein Wünschen und Träumen und wie er den nahenden Tod empfindet. Drum nimmt Rezensentin Sabine Peters es leicht, schon weil auch sonst ein leichter Ton vorherrscht in diesem Buch von Gerlind Reinshagen, in dem ein alter Mann am Telefon auspackt. Der in Jamben rhythmisierten Sprache, die die Autorin manchmal dafür verwendet, kann Peter etwas abgewinnen, sie entwickelt einen Sog, vermag allerdings auch Orientierungslosigkeit zu verursachen in den Metaphysischen Untiefen des Textes, so die Rezensentin. In ihrem Wechsel zwischen Konkretem und Abstraktem und ihrer assoziativen, fragmentarischen Uferlosigkeit haben die Lebenserinnerungen der Figur im Buch für Peters etwas sehr Wahrhaftiges.

 
Gerlind Reinshagen hat hier die modernen Verbindungen unter die Lupe genommen. Sie zeigt, dass sich Menschen in der heutigen Zeit nicht mehr kennen müssen um Seelenverwandt zu sein. Eine neumodische Freundschaft, die doch immer wieder alte Themen behandelt.
Was macht jeder Mensch, wenn er sich verwählt hat? Richtig. Auflegen. Doch nicht so die junge Schneiderin und der ältere Arzt, die sich nachts am Telefon haben, obwohl sie sich nicht kennen. Sie beginnen miteinander zu reden und finden dabei viel über sich und ihr eigenes Leben heraus. Sie fühlen sich Seelenverwandt und die Telefonate werden zur Sucht. Nacht für Nacht immer neue Gespräche, doch keiner von den beiden hat ein Interesse daran die Anonymität zu beenden. Sie leugnen und flüchten sich immer wieder in die Anrufe mit dem Unbekannten. Beide merken immer mehr wie sehr sie ihr eigenes Leben hassen und wie viel sie gemeinsam haben. Doch kann eine so geschlossene Freundschaft als solche bezeichnet werden und bestand haben?

Es gibt Schriftsteller, die scheinen abseits von der Zeit zu leben. Doch alles, worüber sie schreiben, spiegelt diese Zeit exakt wieder, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Gerlind Reinshagen, die die Tür ihrer Berliner Wohnung mit einer herzlichen Selbstverständlichkeit weit öffnet, ist bereits über Achtzig. Das Alter mag man ihr nicht ansehen, doch in ihren viel gespielten Bühnenstücken, in ihren Romanen und Erzählungen findet sich das von ihr Erlebte wieder. Nur so, sagt sie, könne sie die richtige Emotion des Moments erfassen: Durch die Augen der anderen, mit den Stimmen der vielen. 

Bücher von Gerlind Reinshagen


Reinshagen, Gerlind: Vom Feuer. Roman

Cover: Vom Feuer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3518417428, Gebunden, 195 Seiten, 19,80 EUR
"Vom Feuer" berichtet von einer Freundesgruppe junger Menschen, die im Zweiten Weltkrieg in einer deutschen Kleinstadt (und fern von ihr, als Soldaten, im Gefangenenlager) aufwachsen - aber was heißt unter diesen Umständen aufwachsen? Die sich begeistern und doch entziehen, in ihre eigenen Welten einspinnen. Früh machen sie ... 

Reinshagen, Gerlind: Joint Venture. Kleine Studie über die Impotenz

Cover: Joint Venture
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3518413988, Kartoniert, 59 Seiten, 12,90 EUR
Nana und Nono, zwei lang befreundete Huren, geraten gesprächsweise auf das Thema Alterssicherung. Wie es wäre, wenn ihre beiden studierten Kinder, Nanas Angelina und Nonos Julian, sich zusammentäten und gemeinsam ein Bordell betrieben, dessen Erfolg den Müttern erlauben würde, sich endlich zur Ruhe zu setzen. Gesagt, getan. ..

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