07 Juni 2013

Francisca Loetz - Sexualisierte Gewalt 1500-1850 - Lesen macht klug und schoen 1000

Eine aufschlussreiche Materialsammlung, die Einblicke in die historische Verhandlungslogik eines ebenso kontroversen wie auch zeitlos aktuellen Themas bietet:
Francisca Loetz - 
Sexualisierte Gewalt 1500-1850
Plädoyer für eine historische Gewaltforschung



















Campus Verlag, Frankfurt/Main 2012
ISBN 9783593397207
 29,90 EUR
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Die historische Forschung hat Gewalt bislang vorwiegend in Bezug auf Kriege, Morde oder Genozide behandelt. 

Francisca Loetz plädiert dafür, Gewalt darüber hinaus als Form individuellen sozialen Handelns zu begreifen, das als unerträgliche, auf die Niederwerfung des Opfers zielende Grenzverletzung wahrgenommen wurde. 

Am Beispiel von Fällen sexualisierter Gewalt im Stadtstaat Zürich zwischen 1500 und 1850 diskutiert Francisca Loetz zentrale methodologische Probleme: 

von der Definition des Gewaltbegriffs bis zur Frage, was in einer Gesellschaft Gewalt zu Gewalt macht. 

Auf dieser Grundlage entwickelt sie programmatische Perspektiven für eine historische Gewaltforschung Europas vom 16. bis ins 19. Jahrhundert.



HD Dr. Francisca Loetz, geboren 1962, studierte in Heidelberg Anglistik, Geschichte und Romanistik. Sie ist Professorin für Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich. 
http://www.hist.uzh.ch/fachbereiche/neuzeit/lehrstuehle/loetz/team/loetz.html
Textauszug:

"Gewaltfähigkeit und Gewaltbereitschaft mögen zwar anthropologisch gegeben sein, doch ist Gewalt deswegen keine universale Konstante. Vielmehr wandelt sich Gewalt als soziales Handeln mit der Gesellschaft, in der sie ausgeübt wird. Gewalt ist insofern ein historisch zu differenzierendes Phänomen."
http://www.tyrolia.at/list?back=6adfc6c68b34121ea572de3fd71a86a4&xid=3460736

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Presse:

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.04.2013
Mit großem Lob nimmt Urs Hafner diese Arbeit der Zürcher Historikerin Francisca Loetz auf, die sich der sexualisierten Gewalt in der Neuzeit widmet. Ihm hat sie einen "großzügigen Einblick" in die Arbeit der Historikerin gewährt, die er beileibe noch nicht abgeschlossen sieht. Unter sexualisierter Gewalt versteht Loetz Gewalt, die mit dem Mittel der Sexualität ausgeübt wird, im Unterschied zu gewaltsamer Sexualität. Sie ordnet die schier unüberschaubare Zahl der behandelten Fälle unter die damals gebräuchliche Begriffe der "Notzucht" (penetrierend) und dem "Missbrauch" (nicht penetrierend) - unter Auslassung der eher moralisch definierten Begriffe "Unfläterey", "Unzucht", "Hurerei" und "üppige Belästigung". Auffällig findet Hafner, dass viele Frauen durchaus vor Gericht zogen, aber meist nur auf Missbrauch klagten, um keine Probleme wegen einer angeblich angegriffenen Ehre zu bekommen. Interessant scheint ihm auch, wie ernst Kinder damals vor Gerichten genommen wurden.


13.11.2012, Tages-Anzeiger
Der Mann darf das
"Francisca Loetz gehört zu den ganz wenigen Historikerinnen, die Missbrauch an Kindern in der Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert zum Thema machen. Obwohl primär an eine historisch-wissenschaftliche Leserschaft gerichtet, ist ihr Buch auch für interessierte Laien gut verständlich."

Loetz  fragt  nach den Vorstellungen über Frauen, Männer und Kinder, die in den Akten artikuliert werden, und wie die „Zeitgenossen das Kräfteverhältnis [zwischen Opfer und Täter, kb] einschätzten“ (S. 69). Mit einem selektiven Zugriff auf die Quellen verweist sie auf eine ‚offizielle‘ Erwartungshaltung, die davon ausging, dass sich Frauen der Übergriffe hätten widersetzen können, auch wenn sie als physisch schwächer galten. Ansonsten wurden sie zu Mitverantwortlichen im Tatbestand der „Unzucht“. Für Loetz wird auf diese Weise deutlich, wie gefährdet die Ehre einer Frau war: Selbst „versuchte Notzucht“ konnte einen Ehrverlust für sie und ihre Familie bedeuten, den es durch die Anzeige bei Gericht wieder einzuklagen galt. Schließlich war es ihre „Ehre“, die über „Heiratswert“ und den gesellschaftlichen Status der Frauen (und ihrer Familie) entschied (S. 72ff.). Aufschlussreich am Tatbestand der Ehre ist weiterhin, dass auch die beklagten Männer sich auf ihn beriefen, um die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens aufzuzeigen, beziehungsweise um den Leumund und die moralische Integrität der Betroffenen in Frage zu stellen. Relevant für die Verteidigungsstrategien waren Vorstellungen „natürlicher Sexualität“: Diese billigten Männern, die ihre Triebe nicht befriedigen konnten, zu, dass sie in Not gerieten und daher zu Übergriffen neigten.
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-145

Gewaltgeschichte, das macht Loetz' Untersuchung deutlich, ist (zumindest im vorliegenden Untersuchungszeitraum) vor allem Rechtsgeschichte, weil vorrangig das Rechtssystem Gewalterfahrungen festgeschrieben hat. Der Rückschluss auf die Lebenswelten der betroffenen Akteure muss daher über den „juristischen Blick“ verlaufen – und dies beeinflusst sukzessive auch die Leitfrage, wie breit früher das Spektrum der Gewalt im Vergleich zu heute gewesen ist (210). In formaler Hinsicht tauchen dann und wann kleinere Flüchtigkeits(tipp)fehler auf, die aber nicht ins Gewicht fallen und von den informativen Tabellen und dem Glossar am Ende mehr als ausgeglichen werden. Zudem kann die interessierte Öffentlichkeit beruhigt sein, wenn sie sich das Buch ins Regal stellt: Unter die Rubrik „pornografischer Voyeurismus“ fällt die Untersuchung nämlich nicht – wie die Autorin gleich am Anfang vorsichtshalber bekräftigt (22).
http://www.socialnet.de/rezensionen/14064.php

The plea for a historicising of violence is based on the following theses:
1)  Violence is in principle ambivalent.
2)  Violence is a partly ritualised form of social action by physical, verbal and symbolic means within structured (usually asymmetric) situations.
3)   Violence is not a clearly defined quantity but an exercising and experiencing of violence, i.e. a social action aiming at and possibly achieving the defeat or destruction of the victim.
4)  The capability for violence and readiness to use violence may be part of our evolutionary biology, but this does not mean that violence is an anthropological constant.
http://www.recensio.net/Members/floetz/sexualisierte-gewalt-1500-1850

"How can we make pre-modern and modern sources relate to each other? How can we approach what "rape" and "abuse" meant for the contemporaries? What can we find out about the constellations between the accusers, the defendants and the court? How can we understand the sentences which seem extremely unjust to us today as being fair at that time?"
http://history-of-rape.blogspot.fr/2010/02/art-francisca-loetz-sexualisierte.html

Ungleiche Paare – Sexuelle Gewalt vor Gericht in Zürich (1550-1850)
Referent/in: Francisca Loetz, Zürich
Sexuelle Gewalt wie ‚Notzucht’ oder ‚Unzucht’ lässt ungleiche Kräfteverhältnisse der Geschlechter im Tatvorgang wie in der gerichtlichen Verfolgung eklatant deutlich werden. Der Vortrag geht in einer Langzeitperspektive der Frage nach, wie sexuelle Delikte, die wir heute als Vergewaltigung oder Kindsmissbrauch bezeichnen, vom Zürcher Gericht betrachtet und behandelt wurden. Was für Fälle gelangten vor Gericht? Wie gingen die Zürcher Gerichte bei der Befragung der Betroffenen vor? Wie argumentierten die Angeklagten und Opfer?
http://www.historikertag.de/Dresden2008/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionen-am-1okt/details/107-Francisca%20Loetz.html


Zitat zum daily book heute:
"Gewalt ist nicht eine fest definierte Größe, sondern ist ein Ausüben und Erfahren von Gewalt, das heißt ein soziales Handeln, das auf die Niederwerfung oder Zerstörung des Opfers zielt beziehungsweise diese erreicht. Um das Phänomen Gewalt zu erschließen, ist daher nicht die Frage, was Gewalt ist, zentral, sondern die Frage, was Gewalt in einer Gesellschaft zu Gewalt macht."
Francisca Loetz

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