24 Januar 2012

Lesen macht klug und schoen 555 - Sonja Eismann (Hg.) - Hot Topic

Die Frauenbewegung ist tot? Lang lebe der Feminismus! 
Mit 27 Beiträgen zu Themenbereichen wie Sexualität, Aktivismus, Medien und Alltag, bietet Herausgeberin Sonja Eismann eine umfassende Analyse vom gelebten Feminismus junger Frauen. Großartig!


Sonja Eismann (Hg.) - Hot Topic
Popfeminismus heute



 Hot Topic

Ventil Verlag
ISBN 978-3-931555-75-7
2007, 3. Aufl. 2011
14,90 €

hier bestellen (Ab 25€ ist der Versand kostenfrei)



Die Frauenbewegung ist tot? Lang lebe der Feminismus!
Neben konservativem Feminismus und konservativem Backlash, unbeachtet von den Medien, lebte und lebt immer noch das Frauenbewusstsein.
Der Reader von Sonja Eismann "über Frauen zwischen Feminismus und Pop, Prekariat und Boheme" widmet sich den jungen Frauen, die ihr feministisches Bewusstsein in verschiedensten Formen leben.

Frauen porträtieren ihre Lebensrealitäten zwischen Abtreibung, Indie-Mutterschaft, Prekariats-Boheme, queerem Coming-of-Age, Schönheitsterror und Exotinnendasein im Musik- und Medienbusiness.

Seit der konservative Backlash offen in Form von neuem Gebärzwang und alten Hausmütterchen-Doktrinen zutage tritt, besinnt sich sogar der Mainstream wieder auf die Notwendigkeit des Feminismus. Dabei wird gerne übersehen, dass es abseits des gemäßigten Feuilleton-Bekenntnisses zur Geschlechtergleichheit eine Menge junger Frauen gibt, die sich den radikalen »Luxus« eines feministischen Bewusstseins leisten und diesen in verschiedensten Formen leben.

In Anlehnung an die Vielzahl anglo-amerikanischer Textsammlungen, die hierzulande immer noch ihresgleichen suchen, destilliert dieser anekdotisch angelegte Reader die gesellschaftspolitische Aussage aus dem privaten Erleben und knüpft damit dort an, wo vor beinahe zehn Jahren der bis jetzt einzigartig gebliebene Band »Lips Tits Hits Power« aufgehört hatte. 



Inhaltsverzeichnis

Album

Cordula Thym:
I’M HERE, I’M QUEER, UND JETZT? Homophobie ist eine Strategie

Julia Roth:
FRAUENKÖRPER – MÄNNERSACHE? Ein feministischer Blick auf Verhütungspraktiken

Sarah Diehl:
AUCH DAS GEHÖRT ZUM LEBEN DAZU. Der Schwangerschaftsabbruch: das vernachlässigte Thema

Elena Stöhr:
I FELT LIKE I HAD SHATTERED INTO A MILLION PIECES. Grrrl Zines und sexualisierte Gewalt

Christiane Erharter:
ICH HABE ABGETRIEBEN! Weil Biologie nicht Schicksal ist

Vina Yun:
HARDCORE MIT HERZ. Beobachtungen zum D.I.Y.-Porno

Li Gerhalter:
WIE ANGORA. Körperbehaarung ist out – und krause Politik

Sarah Diehl:
PRO-ANA WEBSITES. Selbstbestimmung in der anorektischen Selbstaufgabe

Ina Freudenschuss:
MEIN KÖRPER, DER NEOLIBERALE KITT. Essstörungen als gesellschaftliches Symptom

Birgit Binder:
LANG LEBEN DIE KÖNIGE! Vom Ereignis des ›Kingen‹

Verena Kuni:
CYBERPOPFEMINISMUS. Nutzen und Nachteil des Popfaktors von/für Cyberfeminismus

Chris Köver:
COUCH-POLITIK. Wo in TV-Serien in puncto Feminismus was zu holen ist

Christiane Rösinger:
WANN? IST EGAL, ICH HABE IMMER ZEIT! Das Leben der Lo-Fi-Bohème

Katja Röckel:
TAKE A SEAT AND LISTEN! Mrs. Pepsteins Welt im freien Radio

Elke Zobl:
WEIL WIR ES SATT HABEN! Grrrl Zines als Ort der Selbstbestimmung

Stephanie Müller:
PUTTING THE F-WORD ON THE FASHION MAP. Wenn Mode radikal wird

Bettina Mooshammer:
Eva Trimmel, LADYFEST CAN SAVE YOUR LIFE! Ladyspace als Strategie feministischer Raumproduktion

Pia Thilmann:
SPIELREGELN FÜRS MÄNNERMIMEN. Drag Kings in der Populärkultur

Britta Hoffarth:
BABY, BE MINE. Mutter-Sein und D.I.Y.-Musik – persönliche Widersprüche

Raphaela Kehl:
Julia Wacker, Eva Zulauf, MIMIKRY. Sommermärchen – eine optische Täuschung

Julie Miess:
LEMMY, I’M A FEMINIST. But I Love You All The Way

Jutta Sommerbauer:
KEIN KONFLIKT, NIRGENDWO. Gender und Feminismus zwischen Ost und West

Karin Harrasser:
WUNSCH, FEMINISTIN ZU WERDEN. Nahräume politischen Handelns

Ute Hölzl:
MEIN GANZ PERSÖNLICHES F-WORT. Feminismus und Fußball

Pauline Boudry:
WE ARE THE FRONT OF LUXURY. Die Band-Politics von Rhythm King And Her Friends

Clara Völker:
PLATTEN STATT SCHMINKE AUFLEGEN. HipHop und Feminimus

Rosa Reitsamer:
ROAD TO NOWHERE. Weiße Männlichkeitskonstruktionen im Rock und Pop

Barbara Schulz:
DAS KLINGT JA SCHON GANZ ORDENTLICH! Erfahrungen in Bandkontexten

Comics


Sonja Eismann


Sonja Eismann, *1973 in Heidelberg, Studium in Wien, Mannheim, Dijon und Santa Cruz. Von 2002 bis 2007 Redakteurin beim Popkulturmagazin »Intro«. Sie war Mitbegründerin der Zeitschrift »nylon – KunstStoff zu Feminismus und Popkultur«. Artikel, Vorträge, Workshops und Ausstellungen zum Themenkomplex Pop, Alltagskultur, Feminismus und Gender Studies.

Eigenes Textarchiv unter www.plastikmaedchen.net
Bei Ventil erschienen:
»Hot Topic«


Die Presse

»So inspirierend und relevant war schon ganz lange nichts mehr. Wer im Feminismus-Diskurs am Laufenden sein will, kommt an diesem Reader nicht vorbei.« (Linus Volkmann in the gap)

»›Hot Topic‹ [...] ruft selbstbewusst zu mehr medialer Präsenz des popbezogenen Feminismus auf. Eine attraktive Vorstellung.« (Dörte Miosga in Intro)

»Eismann sieht speziell für den Feminismus gerade jetzt Potenziale von Widerstand und wählt den produktiven Weg. Das gefällt.« (Christoph Jacke in de:bug)

 AVIVA-Tipp: Feminismus is still alive and kicking! Dieser großartige Sammelband ist nicht nur inhaltlich wahnsinnig interessant und schön zu lesen, sondern füllt die Lücke in der feministischen Literatur, zwischen akademischen Veröffentlichungen, Werken von Alt-Feministinnen und Feuilleton-SchreiberInnen. Endlich gibt es einen deutschsprachigen Third Wave–Reader, der sowohl für Einsteigerinnen als auch für Fortgeschrittene geeignet ist, die an Gleichberechtigung interessiert sind.

Was mir sehr gut an deinem Reader gefällt ist, dass sich das Wort »Popfeminismus« nicht nur auf Musik beschränkt, sondern auch auf alltagsweltliche Themen bezieht.
Lustigerweise hat mein Verlag zu Beginn auch gedacht, dass sich die Beiträge nur auf Musik konzentrieren würden. Der Ansatz des Readers war, schon zu zeigen, wie sehr sich Pop- und Alltagskultur gegenseitig durchdringen. Deshalb habe ich die Autorinnen auch gebeten möglichst ihre persönlichen Erfahrungen in die Beiträge einfließen zu lassen. Ich wollte einen Querschnitt durch die verschiedenen Lebensrealitäten popkulturell sozialisierter Frauen präsentieren. Dabei war mir eine Mischung aus alten und aktuellen Themen wichtig. Also sowohl über Queerness, Schönheitsterror und Indie-Mutterschaft zu berichten als auch über so Dauerbrennerthemen wie Abtreibung und Verhütung, die seit den 70ern ja auch nie wirklich zufriedenstellend gelöst wurden und deshalb gut in das Buch reinpassten. 


 Typische popkulturelle Fallstricke
Manche Texte kommen allerdings provozierend eindimensional daher – zum Beispiel, wenn es um das vieldiskutierte Thema des Schwangerschaftsabbruches geht. So nimmt eine Autorin lieber mehrere Abtreibungen in Kauf, als mit der Pille zu verhüten. Denn die sei ein Mittel, um "die Sexualität der Frau zu kontrollieren". Tja: Auch die Popkultur steckt voller Klischees. Insgesamt aber ist "Hot Topic" ein abwechslungsreiches und lustiges Buch geworden. Zum Beispiel, wenn Mrs. Pepstein von ihren spannenden Radio-Interviews erzählt, Birgit Binder in die Welt der Drag Kings eintaucht oder die Britta-Sängerin Christiane Rösinger in ihrem ganz eigenen Humor über das Leben der Lo-Fi-Bohème schreibt: Während die anderen Leute schwer beschäftigt sind und von einem Projekt zum nächsten jagen, hat sie die Zeit, um im Park spazieren zu gehen oder im Café zu sitzen – Geld verdient ja sowieso keine/r.
Feminismus, so jedenfalls behauptet es der Duden, ist "eine Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z.B. der traditionellen Rollenverteilung) u. der patriarchalischen Kultur anstrebt". Warum aber ist Feminismus heute Pop? Vielleicht, weil er einfach um einiges vielfältiger ist als noch vor 30 Jahren.



Feministische Betrachtungen zu Mode, Fußball, Soaps, dem Weiblichkeitswahn in Bulgarien oder HipHop sind genauso erfrischend wie die Einführung ins Konzept der Ladyfeste. Warum nutzen Feministinnen so wenig die neuen Medien? Warum sind sie nicht präsenter im Netz? Ich hab erfahren, dass Stricken und Sticken durchaus ein radikalfeministischer Befreiungsakt sein kann, dass junge Frauen und Mädchen ihre selbst hergestellten Zines (eine Art kollektives Tagebuch, das für ungeübte Augen eher Schülerzeitungscharme ausstrahlt) weltweit tauschen und als Ausdrucksmittel für feministische Positionen nutzen.


Leseprobe

»Hot Topic« ist ein Song der Band Le Tigre und der Name einer amerikanischen Bekleidungskette. In »Hot Topic« von der Band Le Tigre geht es um Vorbilder, die FeministInnen inspirieren, trotz aller Widrigkeiten weiterzukämpfen. Die börsennotierte Klamottenmarke »Hot Topic« rühmt sich damit, als erste »rock-inspired clothing« und »music-infl uenced accessories for teens« in rauen Mengen in die amerikanischen Malls gebracht zu haben. – Hier die Utopie, da die Ware. Ein Widerspruch, der wie ein beinahe ironischer Antagonismus erscheint. Und doch bringt er das Spannungsfeld, in dem sich auch dieses Buch bewegt, prägnant auf den Punkt. Während auf der einen Seite die immer noch misstrauisch bis hasserfüllt beäugte Bewegung des Feminismus’ aufgrund stets neu befeuerter Assoziationen von »Unattraktivität« und »Verbissenheit« wie die letzte Bastion der Unvermarktbarkeit wirkt, werden auf der anderen Seite die ihrer Inhalte entleerten ›coolen‹ Codes der popkulturell aktiven Feministinnen unbekümmert in den Markt eingespeist. Bestes, ad infi nitum wiederholtes Beispiel: die Mutation vom feministisch-punkigen Riot Grrrl zum konsumfröhlichen Spice Girly in den 1990er-Jahren. Aber auch Le Tigre, die Poster Girls einer neuen feministischen Revolution, werden als positive musikalische Referenz auf Websites erwähnt, die sich ansonsten hauptsächlich damit beschäftigen, in welchen Moskauer Puffs sich amerikanische Expats besonders kostengünstig Prostituierte kaufen können. Das Dilemma der Popkultur, das so alt ist wie die Popkultur selbst, hat nun auch den Feminismus erreicht, nachdem der es endlich geschafft hat, durch seinen zähfl üssigen Einzug in die Popkultur ganz andere RezipientInnen zu erreichen.
Aber dennoch und gerade deshalb: Dass man im deutschsprachigen Raum in Bezug auf neuere Feminismen gerne von ›Popfeminismus‹ spricht, heißt nicht, dass es keinen Widerstand mehr zu formulieren gebe. Und wenn an verschiedenen Stellen immer wieder gefordert wird, Feminismus müsse glamourös werden, dann gilt es auch innerhalb des hegemonialen Systems Pop zu korrigieren: Er muss dürfen, aber er darf nicht müssen. Nicht die viel strapazierte weibliche Haut muss wieder zu Markte getragen werden, um der Oberfl äche Pop mit einer adäquat zugerichteten femininen Oberfl äche das Prinzip Feminismus schmackhaft zu machen, sondern umgekehrt sollte Popkultur durch feministische Strategien perforiert und erschüttert werden.

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