Die Frauenbewegung ist tot? Lang lebe der Feminismus!
Mit 27 Beiträgen zu Themenbereichen wie Sexualität, Aktivismus, Medien und Alltag, bietet Herausgeberin Sonja Eismann eine umfassende Analyse vom gelebten Feminismus junger Frauen. Großartig!
Sonja Eismann (Hg.) - Hot Topic
Popfeminismus heute
Ventil Verlag
ISBN 978-3-931555-75-7
2007, 3. Aufl. 2011
14,90 €
Die Frauenbewegung ist tot? Lang lebe der Feminismus!
Neben
konservativem Feminismus und konservativem Backlash, unbeachtet von den
Medien, lebte und lebt immer noch das Frauenbewusstsein.
Der Reader von
Sonja Eismann "über Frauen zwischen Feminismus und Pop, Prekariat und
Boheme" widmet sich den jungen Frauen, die ihr feministisches
Bewusstsein in verschiedensten Formen leben.
Frauen porträtieren ihre Lebensrealitäten zwischen Abtreibung,
Indie-Mutterschaft, Prekariats-Boheme, queerem Coming-of-Age,
Schönheitsterror und Exotinnendasein im Musik- und Medienbusiness.
Seit der konservative Backlash offen in Form von neuem Gebärzwang und
alten Hausmütterchen-Doktrinen zutage tritt, besinnt sich sogar der
Mainstream wieder auf die Notwendigkeit des Feminismus. Dabei wird gerne
übersehen, dass es abseits des gemäßigten Feuilleton-Bekenntnisses zur
Geschlechtergleichheit eine Menge junger Frauen gibt, die sich den
radikalen »Luxus« eines feministischen Bewusstseins leisten und diesen
in verschiedensten Formen leben.
In Anlehnung an die Vielzahl anglo-amerikanischer Textsammlungen, die
hierzulande immer noch ihresgleichen suchen, destilliert dieser
anekdotisch angelegte Reader die gesellschaftspolitische Aussage aus dem
privaten Erleben und knüpft damit dort an, wo vor beinahe zehn Jahren
der bis jetzt einzigartig gebliebene Band »Lips Tits Hits Power«
aufgehört hatte.
Inhaltsverzeichnis
Album
Cordula Thym:
I’M HERE, I’M QUEER, UND JETZT? Homophobie ist eine Strategie
Julia Roth:
FRAUENKÖRPER – MÄNNERSACHE? Ein feministischer Blick auf Verhütungspraktiken
Sarah Diehl:
AUCH DAS GEHÖRT ZUM LEBEN DAZU. Der Schwangerschaftsabbruch: das vernachlässigte Thema
Elena Stöhr:
I FELT LIKE I HAD SHATTERED INTO A MILLION PIECES. Grrrl Zines und sexualisierte Gewalt
Christiane Erharter:
ICH HABE ABGETRIEBEN! Weil Biologie nicht Schicksal ist
Vina Yun:
HARDCORE MIT HERZ. Beobachtungen zum D.I.Y.-Porno
Li Gerhalter:
WIE ANGORA. Körperbehaarung ist out – und krause Politik
Sarah Diehl:
PRO-ANA WEBSITES. Selbstbestimmung in der anorektischen Selbstaufgabe
Ina Freudenschuss:
MEIN KÖRPER, DER NEOLIBERALE KITT. Essstörungen als gesellschaftliches Symptom
Birgit Binder:
LANG LEBEN DIE KÖNIGE! Vom Ereignis des ›Kingen‹
Verena Kuni:
CYBERPOPFEMINISMUS. Nutzen und Nachteil des Popfaktors von/für Cyberfeminismus
Chris Köver:
COUCH-POLITIK. Wo in TV-Serien in puncto Feminismus was zu holen ist
Christiane Rösinger:
WANN? IST EGAL, ICH HABE IMMER ZEIT! Das Leben der Lo-Fi-Bohème
Katja Röckel:
TAKE A SEAT AND LISTEN! Mrs. Pepsteins Welt im freien Radio
Elke Zobl:
WEIL WIR ES SATT HABEN! Grrrl Zines als Ort der Selbstbestimmung
Stephanie Müller:
PUTTING THE F-WORD ON THE FASHION MAP. Wenn Mode radikal wird
Bettina Mooshammer:
Eva Trimmel, LADYFEST CAN SAVE YOUR LIFE! Ladyspace als Strategie feministischer Raumproduktion
Pia Thilmann:
SPIELREGELN FÜRS MÄNNERMIMEN. Drag Kings in der Populärkultur
Britta Hoffarth:
BABY, BE MINE. Mutter-Sein und D.I.Y.-Musik – persönliche Widersprüche
Raphaela Kehl:
Julia Wacker, Eva Zulauf, MIMIKRY. Sommermärchen – eine optische Täuschung
Julie Miess:
LEMMY, I’M A FEMINIST. But I Love You All The Way
Jutta Sommerbauer:
KEIN KONFLIKT, NIRGENDWO. Gender und Feminismus zwischen Ost und West
Karin Harrasser:
WUNSCH, FEMINISTIN ZU WERDEN. Nahräume politischen Handelns
Ute Hölzl:
MEIN GANZ PERSÖNLICHES F-WORT. Feminismus und Fußball
Pauline Boudry:
WE ARE THE FRONT OF LUXURY. Die Band-Politics von Rhythm King And Her Friends
Clara Völker:
PLATTEN STATT SCHMINKE AUFLEGEN. HipHop und Feminimus
Rosa Reitsamer:
ROAD TO NOWHERE. Weiße Männlichkeitskonstruktionen im Rock und Pop
Barbara Schulz:
DAS KLINGT JA SCHON GANZ ORDENTLICH! Erfahrungen in Bandkontexten
Comics
Sonja Eismann, *1973 in Heidelberg, Studium in Wien, Mannheim, Dijon
und Santa Cruz. Von 2002 bis 2007 Redakteurin beim Popkulturmagazin
»Intro«. Sie war Mitbegründerin der Zeitschrift »nylon – KunstStoff zu
Feminismus und Popkultur«. Artikel, Vorträge, Workshops und
Ausstellungen zum Themenkomplex Pop, Alltagskultur, Feminismus und
Gender Studies.
Eigenes Textarchiv unter
www.plastikmaedchen.net
Bei Ventil erschienen:
»
Hot Topic«
Die Presse
»So
inspirierend und relevant war schon ganz lange nichts mehr. Wer im
Feminismus-Diskurs am Laufenden sein will, kommt an diesem Reader nicht
vorbei.« (Linus Volkmann in the gap)
»›Hot Topic‹ [...] ruft selbstbewusst zu mehr medialer Präsenz des
popbezogenen Feminismus auf. Eine attraktive Vorstellung.« (Dörte Miosga
in Intro)
»Eismann sieht speziell für den Feminismus gerade jetzt Potenziale von
Widerstand und wählt den produktiven Weg. Das gefällt.« (Christoph Jacke
in de:bug)
AVIVA-Tipp: Feminismus is still alive and kicking! Dieser
großartige Sammelband ist nicht nur inhaltlich wahnsinnig interessant
und schön zu lesen, sondern füllt die Lücke in der feministischen
Literatur, zwischen akademischen Veröffentlichungen, Werken von
Alt-Feministinnen und Feuilleton-SchreiberInnen. Endlich gibt es einen
deutschsprachigen Third Wave–Reader, der sowohl für Einsteigerinnen als
auch für Fortgeschrittene geeignet ist, die an Gleichberechtigung
interessiert sind.
Was mir sehr gut an deinem Reader gefällt
ist, dass sich das Wort »Popfeminismus« nicht nur auf Musik beschränkt,
sondern auch auf alltagsweltliche Themen bezieht.
Lustigerweise hat mein Verlag zu Beginn auch gedacht, dass sich die
Beiträge nur auf Musik konzentrieren würden. Der Ansatz des Readers war,
schon zu zeigen, wie sehr sich Pop- und Alltagskultur gegenseitig
durchdringen. Deshalb habe ich die Autorinnen auch gebeten möglichst
ihre persönlichen Erfahrungen in die Beiträge einfließen zu lassen. Ich
wollte einen Querschnitt durch die verschiedenen Lebensrealitäten
popkulturell sozialisierter Frauen präsentieren. Dabei war mir eine
Mischung aus alten und aktuellen Themen wichtig. Also sowohl über
Queerness, Schönheitsterror und Indie-Mutterschaft zu berichten als auch
über so Dauerbrennerthemen wie Abtreibung und Verhütung, die seit den
70ern ja auch nie wirklich zufriedenstellend gelöst wurden und deshalb
gut in das Buch reinpassten.
Typische popkulturelle Fallstricke
Manche Texte
kommen allerdings provozierend eindimensional daher – zum Beispiel,
wenn es um das vieldiskutierte Thema des Schwangerschaftsabbruches geht.
So nimmt eine Autorin lieber mehrere Abtreibungen in Kauf, als mit der
Pille zu verhüten. Denn die sei ein Mittel, um "die Sexualität der Frau
zu kontrollieren". Tja: Auch die Popkultur steckt voller Klischees.
Insgesamt aber ist "Hot Topic" ein abwechslungsreiches und lustiges
Buch geworden. Zum Beispiel, wenn Mrs. Pepstein von ihren spannenden
Radio-Interviews erzählt, Birgit Binder in die Welt der Drag Kings
eintaucht oder die
Britta-Sängerin Christiane Rösinger in ihrem
ganz eigenen Humor über das Leben der Lo-Fi-Bohème schreibt: Während
die anderen Leute schwer beschäftigt sind und von einem Projekt zum
nächsten jagen, hat sie die Zeit, um im Park spazieren zu gehen oder im
Café zu sitzen – Geld verdient ja sowieso keine/r.
Feminismus,
so jedenfalls behauptet es der Duden, ist "eine Richtung der
Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine
grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z.B. der
traditionellen Rollenverteilung) u. der patriarchalischen Kultur
anstrebt". Warum aber ist Feminismus heute Pop? Vielleicht, weil er
einfach um einiges vielfältiger ist als noch vor 30 Jahren.
Feministische Betrachtungen zu Mode, Fußball, Soaps, dem
Weiblichkeitswahn in Bulgarien oder HipHop sind genauso erfrischend wie
die Einführung ins Konzept der Ladyfeste. Warum nutzen Feministinnen so
wenig die neuen Medien? Warum sind sie nicht präsenter im Netz? Ich hab
erfahren, dass Stricken und Sticken durchaus ein radikalfeministischer
Befreiungsakt sein kann, dass junge Frauen und Mädchen ihre selbst
hergestellten Zines (eine Art kollektives Tagebuch, das für ungeübte
Augen eher Schülerzeitungscharme ausstrahlt) weltweit tauschen und als
Ausdrucksmittel für feministische Positionen nutzen.
Leseprobe
»Hot Topic« ist
ein Song der Band Le Tigre und der Name einer amerikanischen
Bekleidungskette. In »Hot Topic« von der Band Le Tigre geht es um
Vorbilder, die FeministInnen inspirieren, trotz aller Widrigkeiten
weiterzukämpfen. Die börsennotierte Klamottenmarke »Hot Topic« rühmt
sich damit, als erste »rock-inspired clothing« und »music-infl uenced
accessories for teens« in rauen Mengen in die amerikanischen Malls
gebracht zu haben. – Hier die Utopie, da die Ware. Ein Widerspruch, der
wie ein beinahe ironischer Antagonismus erscheint. Und doch bringt er
das Spannungsfeld, in dem sich auch dieses Buch bewegt, prägnant auf den
Punkt. Während auf der einen Seite die immer noch misstrauisch bis
hasserfüllt beäugte Bewegung des Feminismus’ aufgrund stets neu
befeuerter Assoziationen von »Unattraktivität« und »Verbissenheit« wie
die letzte Bastion der Unvermarktbarkeit wirkt, werden auf der anderen
Seite die ihrer Inhalte entleerten ›coolen‹ Codes der popkulturell
aktiven Feministinnen unbekümmert in den Markt eingespeist. Bestes, ad
infi nitum wiederholtes Beispiel: die Mutation vom feministisch-punkigen
Riot Grrrl zum konsumfröhlichen Spice Girly in den 1990er-Jahren. Aber
auch Le Tigre, die Poster Girls einer neuen feministischen Revolution,
werden als positive musikalische Referenz auf Websites erwähnt, die sich
ansonsten hauptsächlich damit beschäftigen, in welchen Moskauer Puffs
sich amerikanische Expats besonders kostengünstig Prostituierte kaufen
können. Das Dilemma der Popkultur, das so alt ist wie die Popkultur
selbst, hat nun auch den Feminismus erreicht, nachdem der es endlich
geschafft hat, durch seinen zähfl üssigen Einzug in die Popkultur ganz
andere RezipientInnen zu erreichen.
Aber dennoch und gerade deshalb: Dass man im deutschsprachigen Raum in
Bezug auf neuere Feminismen gerne von ›Popfeminismus‹ spricht, heißt
nicht, dass es keinen Widerstand mehr zu formulieren gebe. Und wenn an
verschiedenen Stellen immer wieder gefordert wird, Feminismus müsse
glamourös werden, dann gilt es auch innerhalb des hegemonialen Systems
Pop zu korrigieren: Er muss dürfen, aber er darf nicht müssen. Nicht die
viel strapazierte weibliche Haut muss wieder zu Markte getragen werden,
um der Oberfl äche Pop mit einer adäquat zugerichteten femininen Oberfl
äche das Prinzip Feminismus schmackhaft zu machen, sondern umgekehrt
sollte Popkultur durch feministische Strategien perforiert und
erschüttert werden.