27 Juli 2011

Lesen macht klug und schoen 409 - Louise Erdrich - Schattenfangen

»Mit jeder seiner temporeichen Seiten wächst der Roman von Louise Erdrich den Lesern stärker ans Herz, und zum Schluss legt man ihn geradezu fassungslos aus der Hand.«
Louise Erdrich hat mit Schattenfangen einen beeindruckenden Psychothriller geschrieben, konsequent stülpt sie das Innenleben ihrer Protagonisten nach außen und zeigt, wohin es führt, wenn aus Liebe Hass wird.

Louise Erdrich - Schattenfangen
Roman
Schattenfangen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
ISBN-13 9783518422236
17,90 EUR
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Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Ein grausames Spiel hat sich Irene ausgedacht, als sie feststellt, dass ihr Mann heimlich in ihrem Tagebuch liest. Sie beginnt ein neues, das sie jetzt besser versteckt. Dem vertraut sie ihre wahren Gefühle, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen an, die Zweifel an ihrer Ehe, aus der sie nicht loskommt. Das alte Tagebuch führt eine andere Irene. Eine, die ihren Mann wissen lassen will, dass sie ihn nicht mehr liebt, eine, die vorgibt, ihn zu betrügen, eine, die ihm sagen will, dass sie nur noch Verachtung für ihn übrig hat. Es ist der perfide Versuch, die Ehe zu einem Ende zu bringen. Das Bild, das die beiden nach außen vermitteln, ist ein anderes: zwei, die füreinander bestimmt sind. Er der Maler, sie die Kunstwissenschaftlerin, seine Muse. Ohne sie kann er nicht malen. Ohne ihn kann sie nicht leben. In Wirklichkeit: ein Paar, aneinander gefesselt durch Haßliebe und ihre Kinder. Sie werden zusammenbleiben, bis daß der Tod sie scheidet.



Louise Erdrich



Louise Erdrich wurde 1954 als Tochter eines Deutschen und einer Indianerin in Wahpeton, North Dakota, geboren. Sie studierte Literatur an der University of Dartmouth und ließ sich dann als freie Schriftstellerin nieder. Für ihren ersten Roman "Liebeszauber" wurde sie mit dem National Book Critics Award ausgezeichnet. Sie lebt in Northfield, Minnesota.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.2011
Nicht erwärmen kann sich Ingeborg Harms für Louise Erdrichs Roman "Schattenfangen". Die Autorin soll zu den "profiliertesten Stimmen" der amerikanischen Gegenwartsliteratur gehören. Davon ist zum Bedauern der Rezensentin in vorliegendem Werk nichts zu spüren. Denn der Roman um ein Künstler-Ehepaar mit indianischen Wurzeln, das sich aus Liebe selbst zerfleischt, scheint ihr geradezu triefend vor Kitsch, Selbstmitleid, Theatralik und falschem Pathos. Immerhin amüsant findet sie den Besuch des Paars bei einer Therapeutin, der geradezu komödiantische Züge annimmt. Doch dieser Lichtblick kann für sie das Buch letztlich auch nicht retten.

Pressestimmen

»Das ist ein Buch, das da weiter denkt, wo andere aufhören. Es ist spannend und unterhaltsam, voller erzählerischer Detailfreude, Situationswitz und Tragik. Rasend gut!«
Christiane Geldmacher, culturmag.de

»Schattenfangen von Louise Erdrich ist eine fesselnde Geschichte über Hoffnungslosigkeit einer sterbenden Beziehung, in welcher der Hass zunehmend das Handeln bestimmt.«
Thomas Völkner, Hamburger Lokalradio

»... ein dichtes, kammerspielartiges Psychodrama. Im winterlichen kalten Minnesota zeichnet [die Autorin] mit grausamer Intensität das Bild einer heissen Ehehölle.«
Andrea Bollinger, Basler Zeitung

»Louise Erdrich ist eine bemerkenswerte Schriftstellerin, der hierzulande noch zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Das könnte sich mit ihrem neuen Roman ändern, denn der ist ein kleines Meisterwerk, wenn auch ein eher düsteres.«
Bettina Ruczynski, Sächsische Zeitung

»Ein Roman, der auf eindrucksvolle Weise die Gefahren deutlich macht, die drohen, wenn man einen anderen Menschen ganz vereinnahmen und seinen Schatten fangen will.«
Isa Schikorsky, Lesart 1/2011

»Die Kunst der in Minnesota lebenden Halbindianerin Louise Erdrich besteht darin, ihre Leser geradewegs ins Innere der Hautperson zu verpflanzen. Gebannt folgt man den familiären Verstrickungen bis zum Kollaps.«
buchjournal 1/2011

»Das Werk wartet bis zuletzt mit atemberaubenden Szenen auf. Gekrönt wird dieser meisterhafte Psychothriller durch den einzigartigen Sprachzauber der Prosa, der auch nach der hervorragenden Übertragung ins Deutsche erhalten blieb. Fazit: ein tief unter die Haut gehendes indianisches Liebesdrama in gradezu griechischer Tragödientradition.«
Wilhelmshavener Zeitung

»Louise Erdrich hat mit Schattenfangen einen beeindruckenden Psychothriller geschrieben, konsequent stülpt sie das Innenleben ihrer Protagonisten nach außen und zeigt, wohin es führt, wenn aus Liebe Hass wird.«
Nieder-Eschbacher Anzeiger

Louise Erdrich ist die Tochter einer Indianerin aus North-Dakota und eines Deutschen. Auch in ihren neuen Roman "Schattenfangen" streut sie den indianischen Hintergrund immer wieder ein. Beschrieben wird die Geschichte einer Ehe, die qualvoll zugrunde geht. Kunsthistorikerin Irene America hat ihren Beruf für ihren Mann und die drei Kinder aufgegeben. Einst war sie Muse und Modell ihres Mannes, des erfolgreichen Malers Gil LaRose. Als sie entdeckt, dass er heimlich ihre Tagebuchaufzeichnungen liest, legt sie ein zweites Tagebuch extra für ihn an und lanciert dort, dass sie ihn betrügt und verachtet. Das Buch setzt an einem Punkt ein, an dem es schon zu spät ist, um die Ehe noch zu retten. Die Genauigkeit und Konsequenz, mit der die Fremdheit der Geschlechter und die Sprachlosigkeit beschrieben werden, ist sehr gut erzählt und eingängig zu lesen.



Sukzessives Abdriften in den Wahn
Louise Erdrich: "Schattenfangen", Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, 240 Seiten

Die 1954 in North Dakota geborene Louise Erdrich - Tochter einer Stammesangehörigen der Chippewa und eines Deutschen, der im Reservat Deutsch und Englisch unterrichtete - inszeniert in ihrem jüngsten Roman mit viel Perfidie das Psychodrama zweier indianischer Liebender.
Seitdem die Kunsthistorikerin Irene America ihrem Mann Gil LaRose mal züchtig, mal pornographisch posierend Modell sitzt, hat der bisher als "indianischer Edward Hopper" belächelte Maler Erfolg. Die Muse aber beschleicht zunehmend das Gefühl, er beute ihren makellosen Körper aus. Auch verfestigt sich in Irene der Glaube, Gil setze beim Malen "seinen Fuß auf ihren Schatten". In der indianischen Vorstellungswelt bemächtigt man sich so der Seele eines anderen.

Wie in Erdrichs anderen Romanen spielt auch "Schattenfangen" in einem Bundesstaat mit Reservaten der Chippewa, Sioux und Cree. Sehr beiläufig streut sie Exkurse über die Stammesgesetze und die Lebensumstände nordamerikanischer Indianer und Mestizen ein. Indianer in der bildenden Kunst wie in der Literatur sind für sie kitschverdächtig.

Louise Erdrich beginnt ihren Roman mit einer Tagebucheintragung Irenes und richtet schon auf der nächsten Seite den auktorialen Blick auf Gil, der seine Arbeit im Atelier unterbricht und eine Schublade im Nebenraum öffnet. In ihr befindet sich, unter Kontoauszügen versteckt, ein zweites Notizbuch von Irene. Dem einen werden intime Gefühle anvertraut, das andere wird genutzt, um den Ehemann gezielt zu manipulieren, denn Irene hat entdeckt, dass Gil heimlich ihre Aufzeichnungen liest. Die Strafe für den unverzeihlichen Übergriff besteht darin, Gil mithilfe des zweiten Tagebuchs in die Verzweiflung zu treiben und ihn zur endgültigen Auflösung der Ehe zu bewegen. Drängenden Fragen, wie sie ein Leben mit den drei minderjährigen Kindern ohne ihn gestalten will, weicht die nach Selbstbestimmung verlangende Irene aus.

Die Egozentrik des Paares, das an seiner Hassliebe leidet und sich nach gewaltsamen Attacken über den Köpfen der Kinder umarmt, ist beklemmend. Wie Gift wirken die Zweifel, die Irene bei ihrem Partner vorsätzlich schürt. Erdrich schreibt bösartige, listige Dialoge, um ihren Figuren die Haut abzuziehen. Sukzessive driftet das Paar in den Wahn, während die Kinder Vorbilder in charismatischen indianischen Persönlichkeiten suchen oder die Angst vor dem Zerbrechen der Familie mit Drogen betäuben.

Das Paardrama endet tödlich. Warum Eltern ihre Kinder sehenden Auges zu Waisen machen, bleibt eine ungelöste Frage. Im letzten Romankapitel enthüllt Louise Erdrich, dass eines der hinterbliebenen, erwachsen gewordenen Kinder die auktoriale Erzählerin ist. Die Tochter gerät ins Straucheln, weil sie Sinn in der verzehrenden Liebe der Eltern entdecken will. Auch das gehört zur Tragik dieses anrührenden, dicht erzählten Romans. Er weckt den Wunsch, manchmal lieber "als Schlange, Spinne, Ratte oder Wolf zu leben", weil das Menschsein zu schwer ist. Erlösung ist für Louise Erdrich ein Fremdwort. Besprochen von Sigrid Brinkmann




Bücher von Louise Erdrich

Erdrich, Louise: Solange du lebst.

Cover: Solange du lebst

Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 3458174265, Gebunden, 396 Seiten, 22,80 EUR

Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Beim letzten Schuss klemmte das Gewehr. Das Kind stand in seinem Bettchen, weinend, ans Gitter geklammert. Um nachzuschauen, warum das Gewehr streikte, setzte sich der Mann in einen Sessel und nahm es auseinander. Das Weinen ging ihm auf die Nerven. Er legte das Gewehr hin und hielt Ausschau nach einem Hammer... ... mehr lesen


Erdrich, Louise: Der Gesang des Fidelis Waldvogel.

Cover: Der Gesang des Fidelis Waldvogel
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3821857315, Gebunden, 504 Seiten, 24,90 EUR 

Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann. Als der junge Metzgermeister Fidelis Waldvogel aus dem ersten Weltkrieg heimkehrt, heiratet er Eva, die schwangere Verlobte seines gefallenen Freundes. Armut lässt die junge Familie Anfang der zwanziger Jahre nach Amerika auswandern - im Gepäck einen Koffer voller Würste und die Messer ... mehr lesen

Erdrich, Louise: Ein Jahr mit sieben Wintern. (ab 10 Jahre)

Cover: Ein Jahr mit sieben Wintern
Sauerländer Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3794147707, Gebunden, 225 Seiten, 15,31 EUR

Aus dem Amerikanischen von Sylke Hachmeister. Omakayas ist ein außergewöhnliches Ojibwa-Mädchen. Sie kann nicht nur – wie alle Indianer auf den Inseln nahe am Polarkreis – Leder gerben, Mokassins nähen und fischen. Sie verfügt über erstaunliche Fähigkeiten: Sie zähmt Vögel und lernt von den Bären mit Heilpflanzen umzugehen. Eines Tages schleppt ein ... mehr lesen

Erdrich, Louise: Die Antilopenfrau.

Cover: Die Antilopenfrau
Rowohlt Verlag, Reinbek 2000, ISBN 3498016652, Gebunden, 320 Seiten, 23,01 EUR 

Deutsch von Juliane Gräbener-Müller. Wer sich als Mann mit einer Antilopenfrau einlässt, läuft Gefahr, den Verstand und vielleicht sogar das Leben zu verlieren. Zu flüchtig ist ihr Wesen, sagt eine alte Weisheit der Ojibwa-Indianer. Und unerträglich ihre Liebe. So stürzt sich auch Richard Whiteheart ins Unglück, als er die schöne junge Rozin Roy heiratet. ... mehr lesen


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