Das neue Buch der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2013
Eine unabgeschlossene Familiengeschichte erzählt in kurzen Kapiteln, der ein tragischer Epochenroman hätte werden können:Katja Petrowskaja - Vielleicht Esther
Roman
Suhrkamp Verlag
Gepl. Erscheinung: 10.03.2014
Gebunden, 285 Seiten
ISBN: 978-3-518-42404-9
19,95 Euro
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Statt ihren gewaltigen Stoff episch auszubreiten, schreibt die Autorin von ihren Reisen zu den Schauplätzen, reflektiert über ein zersplittertes, traumatisiertes Jahrhundert und rückt Figuren ins Bild, deren Gesichter nicht mehr erkennbar sind. Ungläubigkeit, Skrupel und ein Sinn für Komik wirken in jedem Satz dieses eindringlichen Buches.
Hieß sie wirklich Esther, die Großmutter des Vaters, die 1941 im besetzten Kiew allein in der Wohnung der geflohenen Familie zurückblieb? Die jiddischen Worte, die sie vertrauensvoll an die deutschen Soldaten auf der Straße richtete – wer hat sie gehört? Und als die Soldaten die Babuschka erschossen, »mit nachlässiger Routine« – wer hat am Fenster gestanden und zugeschaut?
Die unabgeschlossene Familiengeschichte, die Katja Petrowskaja in kurzen Kapiteln erzählt, hätte ein tragischer Epochenroman werden können:
der Student Judas Stern, ein Großonkel, verübte 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau.
Sterns Bruder, ein Revolutionär aus Odessa, gab sich den Untergrundnamen Petrowski. Ein Urgroßvater gründete in Warschau ein Waisenhaus für taubstumme jüdische Kinder.
Wenn aber schon der Name nicht mehr gewiß ist, was kann man dann überhaupt wissen?
Katja Petrowskaja, 1970 in Kiew geboren, studierte Literaturwissenschaft in Tartu (Estland) und promovierte in Moskau. Seit 1999 lebt sie in Berlin und arbeitet als Journalistin für russische und deutsche Print- Netzmedien. Seit 2011 ist sie Kolumnistin bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Für ihre Erzählung Vielleicht Esther erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis 2013.
Der Roman Vielleicht Esther von Katja Petrowskaja sowie Robin Detjes Übersetzung von William T. Vollmanns Europe Central sind für den Preis der Leipziger Buchmesse 2014 nominiert.
Zitat aus dem Buch
»Der eigentliche Held meines Buches ist die deutsche Sprache, die ich erst als Erwachsene zu lernen begonnen habe. Durch den Sprachwechsel entkomme ich der Identität, die mir die russische Sprache zuschreibt. Auf Deutsch bin ich nicht mehr von vornherein im Recht, hier spreche ich weder in der Rolle des Siegers noch des Opfers (wozu mich meine osteuropäisch-jüdische Geschichte ohnehin zwingt). Es entsteht eine Art Stereo-Effekt. Historisch freigesprochen, kann ich mich der Frage zuwenden, wo wir heute als Menschen stehen – unabhängig davon, wer unser Großvater war.«
Katja Petrowskaja - Vielleicht Esther
Pressestimmen:
»Katja Petrowskaja, Siegerin von Klagenfurt, Geschenk für eine Literatur, die versteht, wie viel Kraft in einer fremden Sprache steckt.«
Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Schon jetzt ist die deutsche Gegenwartsliteratur um eine kluge, flamboyante und höchst eigenständige Stimme reicher.«
Ijoma Mangold, DIE ZEIT
Proteste in Kiew : "Es gibt kein Zurück!" - Die Schriftstellerin Katja Petrowskaja über die Gewalt in der Ukraine
Die Gewalt in der Ukraine nimmt zu: Aus den friedlichen Protesten gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch sind brutale Straßenschlachten geworden. Wie erlebt die ukrainisch-deutsche Autorin Katja Petrowskaja die Situation in ihrer Heimat?
"Katja Petrowskaja geht all diesen Spuren nach, besucht die Schauplätze, aber schreibend dramatisiert sie nichts. Sie benennt die Gräueltaten, sie malt Grausamkeiten und Unmenschlichkeit jedoch nicht extra aus. Da bleibt sie ganz lapidar. - "
http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/lesezeichen/katja-petrowskaja-106.html
"2013 gewann sie mit einem Auszug aus ihrem Text "Vielleicht Esther" den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. Das Komplettwerk der ukrainisch-stämmigen Katja Petrowskaja ist nun für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Darin befasst sie sich mit der Vernichtung der Juden von Kiew durch die Nazis im Jahr 1941.
"Vielleicht Esther" - der Titel von Katja Petrowskajas erstem Roman steht frei im Raum, lässt den Leser spekulieren: Wer ist Esther,"
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/lesezeit/175432/index.html
ZDF Interview mit Katja Petrowskaja v.24.01.2014:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2074864/Interview-mit-Katja-Petrowskaja
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.04.2014:
Ein Märchen, ein Roman? Für Samuel Moser ist das Buch von Katja Petrowskaja beides, und zwar im besten Sinne. Wie die Autorin durch das 20. Jahrhundert hindurch, durch Kiew, Berlin, Warschau, Moskau, unerschrocken und unvoreingenommen die Spuren ihrer Vorfahren, besonders derer, die dem Holocaust zum Opfer fielen, verfolgt, findet Moser bewundernswert. Beeindruckend scheint ihm, wie die genauen Bilder, die Petrowskaja findet, metaphysische Horizonte eröffnen, sodass Gewalt und Tod erahnbar werden und das Verschwinden in der Geschichte reversibel scheint. Dass die Autorin bei aller Genauigkeit keine Antworten anpeilt, sondern Nichtwissen und Leere zulässt, macht die Lektüre für Moser zu einer buchstäblich traumhaften Erfahrung.
Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 29.03.2014:
So hervorragend findet Ulrich Gutmair Katja Petrowskajas Roman über ihre Familiengeschichte in der Ukraine, dass er über Wesen und Zweck von Überlieferung zu philosophieren beginnt. In der Unklarheit darüber, wie die eigene Urgroßmutter tatsächlich geheißen hatte - "vielleicht Esther", aber alle nannten sie Babuschka - liegt für den Kritiker auch ein Wissen darüber verborgen, dass Überlieferung und Erinnerung immer lücken- und fehlerhaft, beschönigt oder rhetorisch überspitzt sind. So handelt auch der vorliegende Roman davon, welche Sprache Überlieferung für sich findet, und ist somit trotz seines dokumentarisch erzählenden Charakters "Literatur im besten Sinne", erklärt der Rezensent. Auch geht es in Petrowskajas Roman darum, welche Zuordnungen die Ideologien des 20. Jahrhunderts "auf die Körper gestanzt" haben und kommt zu dem Schluss: wir sind nicht Deutsche, Russen, Kommunisten oder Faschisten, wir sind alle Kinder von Kain, führt Gutmair weiter aus und meint: Auch darin artikuliert sich, welche Aufgabe und Funktion die Überlieferung für die Nachgeborenen hat.
Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.03.2014:
Helmut Böttiger hat die aus der Ukraine stammende und auf Deutsch schreibende Katja Petrowskaja in Berlin getroffen und mit ihr für den Aufmacher der Literaturbeilage über ihren jüngst erschienenen Roman "Vielleicht Esther" gesprochen. In dieser Spurensuche in der eigenen Familiengeschichte lässt die seit 1999 in Berlin lebende Autorin ihre Ich-Erzählerin in ein polnisches Dorf reisen und dort nach ihren sowjetisch-russisch-jüdischen Wurzeln forschen. Für den Rezensenten manifestiert sich in der sprunghaft-assoziativen Wahrnehmung und Sprache Petrowskajas, die durch eindrucksvolle Bilder besticht, ein spezifisch "osteuropäisches Netz aus literarischen Sprachen und Bezügen". Damit wird diese Erforschung der eigenen Familiengeschichte, die genauso in die Vergangenheit wie in die Gegenwart zielt, zu "Literatur", wie Böttiger betont.
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.03.2014:
Schön unroutiniert erscheinen Jens Bisky Katja Petrowskajas Geschichten. Dass sie von Tod und Verschwinden handeln, vom Aufzehren der Familie durch Krieg und Verfolgung und Flucht und der Suche nach Spuren in entsetzlicher Vergangenheit, erfordert laut Bisky Behutsamkeit beim Erzählen. Darüber wie auch über Takt verfügt die Autorin, schreibt Bisky. Für den Rezensenten entsteht so Familiengeschichtsliteratur, aber ohne die üblichen Routinen dieses beliebten Genres, atemberaubend unbefangen recherchiert mit Hilfe von Suchmaschinen und in Familienüberlieferungen und Archiven zwischen Kiew, Berlin, Warschau und Mauthausen.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung,08.03.2014:
Mit diesem Buch sieht Rezensent Jan Wiele neueste Vorwürfe an die Gegenwartsliteratur widerlegt. Was die Autorin Katja Petrowskaja hier unternimmt, stuft Wiele zwar als autobiografische, mythologisch und durch Fotos und Archivfunde angereicherte Metafktion ein, allerdings liegt dem Text laut Wiele auch ein erzählerisches Prinzip zugrunde, dass ganz und gar literarisch ist. Das ist der Versuch zu erzählen, was eigentlich nicht kommunizierbar ist. Hier: Die vom Holocaust geprägte Familiengeschichte der aus Kiew stammenden Autorin. Der Wechsel zwischen leichtem Ton, jähen Abgründen und bitterer Ironie ist für den Rezensenten dabei von erheblichem Reiz.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.03.2014:
Katja Petrowskajas neuer Roman "Vielleicht Esther" hat Rezensentin Cornelia Geissler tief beeindruckt. Denn obwohl die Autorin hier ihre eigene Familiengeschichte niederschreibt, hat die Kritikerin bald das Gefühl bei der Recherche dabei gewesen zu sein. So packend, so nahe berichte die in Kiew geborene und auf Deutsch publizierende Schriftstellerin von den lebenden, vor allem aber den toten Mitgliedern ihrer Familie, dass Geissler sich dem Bann dieser Geschichte nicht mehr entziehen kann: Sie folgt Petrowskajas Suche nach ihrer Großmutter Esther anhand von Dokumenten und Fotografien, reist in dem Buch mit der Autorin nach Auschwitz und ergründet mit ihr die Tradition der Familie, Gehörlose zu unterrichten. Nicht zuletzt bewundert die Kritikerin Petrowskajas sinnlichen und bildlichen Umgang mit Sprache.
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