09 Februar 2015

Lesen macht klug und schoen 1160 - Scholastique Mukasonga - Die heilige Jungfrau vom Nil

»Notre-Dame du Nil« ist ein stimmungsvoller Roman voll unerträglicher Spannung. Scholastique Mukasonga, Architektin des Grauens, hat unter dem trügerischen Schutz einer Schwarzen Madonnenstatue diesen Ort des Friedens geschaffen, der nach und nach vom Haß, der aus dem Präsidentenpalast dringt, gefangen genommen wird.«

Scholastique Mukasonga - Die heilige Jungfrau vom Nil
Roman

Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014
ISBN 9783884234693
Gebunden, 220 Seiten,
16,99 EUR
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Am 7. April 2014 jährte sich zum zwanzigsten Mal der Völkermord in Ruanda. Vor dem Hintergrund der aufkommenden Gewalt, die 1994 zum verheerenden Völkermord eskaliert, schildert Scholastique Mukasonga den Schulalltag in den 1970er Jahren.

Töchter ranghoher Politiker, Militärs, Geschäftsleute und Diplomaten einerseits, sowie mittelloser Bauern andererseits leben im christlichen Mädcheninternat Notre-Dame-vom-Nil zusammen. Hoch in den Bergen, nahe einer der Quellen des Nils erhalten sie unter strenger katholischer Aufsicht, fernab allen Verführungen der Großstadt, ihre Schulbildung. Sie sind größtenteils Hutus, die Aufnahme der Tutsi ist durch eine 10% Quote geregelt. Die schon angespannte Lage spitzt sich weiter zu, als zur Weihung einer neuen Marienstatue an der Nilquelle auch die militante Ruandische Jugend geladen wird. Haben die Tutsi-Mädchen richtig eingeschätzt, wie gefährlich die Lage für sie wird?


Scholastique Mukasonga, geboren 1956 in Ruanda, musste schon in ihrer Kindheit die Gewalt und Demütigungen des ethnischen Konflikts in Ruanda erfahren. 1973 wurde sie nach Burundi ins Exil vertrieben. Ein Großteil ihrer Familie viel dem Völkermord in Ruanda 1994 zum Opfer. Notre-Dame vom Nil ist bereits ihr viertes Buch und wurde 2012 mit dem »Prix Renaudot« ausgezeichnet. Sie lebt heute mit ihrer Familie in der Normandie.

Indra Wussow studierte Literaturwissenschaft, lebt in Johannesburg/Südafrika und auf Sylt. Sie arbeitet als Autorin, literarische Übersetzerin und Kuratorin für verschiedene internationale Einrichtungen. 2002 gründete sie auf Sylt die von ihr geleitete Stiftung kunst:raum sylt quelle. Mit Stipendien, Ausstellungen, Aufführungen und Veröffentlichungen werden zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen sowie Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus unterschiedlichen Nationen gefördert. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst. 2008 eröffnete die Stiftung eine Dependance in Johannesburg, das Jozi art:lab.

Übersetzung
Andreas Jandl, geboren 1975, studierte Theaterwissenschaften, Anglistik und Romanistik in Berlin, London und Montréal. Seit 2000 arbeitet er freiberuflich als Redaktionsassistent, Dramaturg und Übersetzer aus dem Englischen und Französischen. Zu seinen Übersetzungen gehören Theaterstücke und Romane u.a. von Daniel Danis, Nicolas Dickner, Mike Kenny, Michael Mackenzie, Gaétan Soucy und Jennifer Tremblay.


Bestenliste »Weltempfänger« Nr. 24 Herbst 2014: 4. Platz

Presse:

»Mukasonga gelingt ein so ungewöhnlicher wie packender Rwanda-Roman.« Neue Zürcher Zeitung


»Der Roman ›Die Heilige Jungfrau vom Nil‹ ist poetisch trotz seines erschreckenden Themas. Er zeigt im Spiegel eines Mikrokosmos die Mechanismen der Gewalt und des Hasses.« NDR


»Notre-Dame du Nil« ist ein stimmungsvoller Roman voll unerträglicher Spannung. Scholastique Mukasonga, Architektin des Grauens, hat unter dem trügerischen Schutz einer Schwarzen Madonnenstatue diesen Ort des Friedens geschaffen, der nach und nach vom Haß, der aus dem Präsidentenpalast dringt, gefangen genommen wird.« Le Nouvel Observateur

"Mukasonga organisiert ihren Roman in Kapitel, die zwar in einen grösseren Handlungsbogen eingespannt sind, aber teilweise fast wie eigenständige Geschichten dastehen. Da mischt sich unter dem Titel «Blut und Schande» die quälende Scham eines Mädchens, dessen erste Menstruation vor versammelter Klasse einsetzt, mit tieferen Ängsten über das Blut, das in ihren Adern fliesst – denn Modesta gilt zwar offiziell als Hutu, aber alle wissen, dass ihre Mutter Tutsi ist. Unter der Hand mottet in der Schule ein Machtkampf zwischen der bulligen Gloriosa, die als Tochter eines Hutu-Parteifunktionärs das Zepter über ihren Mitschülerinnen schwingt, und der energischen Offizierstochter Goretti; "

"Mukasonga gelingt es letztendlich, der ebenso grausamen wie abstrakten Vorstellung eines von mörderischem Hass getriebenen Konfliktes ein alltägliches und an Situationen festgemachtes Gesicht zu geben. Für "Die Heilige Jungfrau vom Nil" wurde sie 2012 mit dem renommierten Prix Renaudot ausgezeichnet. Mukasonga ist, wie sie selbst in einem Interview sagte, überhaupt erst Schriftstellerin geworden, um die Erfahrung des Genozids zu verarbeiten. 1994 hat sie einen Großteil ihrer ruandischen Familie verloren. Ihr Roman ist damit auch Zeugnis eines mutigen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit."


"Der Roman endet in dem Moment, in dem die mit Knüppeln und Macheten bewaffnete "Ruandische Jugend", eine militante Gruppe der Hutu, in der Schule anrückt.  Der Leser begreift: Die Geschichte wiederholt sich. Genau darin liegt das eigentliche Wunder dieses schmalen Romans:"

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.11.2014
Das Wissen, dass die Wirklichkeit in Ruanda viel grausamer ist, als es jede Fiktion darzustellen vermag, begleitet Michael Bitala bei der Lektüre von Scholastique Mukasongas Roman. Dennoch reißt ihn das Buch, das den Hass zwischen Hutu und Tuts zum Thema hat, mit, und zwar durch seinen Schauplatz in einem Mädchenkloster in den Bergen Ruandas und durch seine Figuren. Das Erwachsenwerden der Mädchen (90 Prozent Hutu, 10 Prozent Tutsi) in dieser Abgeschiedenheit, ihre Sorgen und Träume vermag die Autorin mit einer Unmittelbarkeit zu schildern, dass der Rezensent den schrecklichen Hintergrund, der im Buch zwar auf jeder Seite durchscheint, doch laut Bitala nicht in seiner ganzen Problematik erörtert wird, mitunter beinahe vergisst.





Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.09.2014
Einen grandiosen Roman über die Hintergründe des Genozids in Ruanda vor zwanzig Jahren annonciert Rezensentin Carla Baum mit Scholastique Mukasongas neuem Buch "Die heilige Jungfrau vom Nil". Die Kritikerin erlebt hier den schwelenden Hass zwischen Hutu und Tutsi an einem katholischen Mädcheninternat im Ruanda der Siebzigerjahre und den Konflikt zwischen traditionellen Familien Ruandas und den Weißen, die neben Bildung, Erziehung und Ernährung auch die kolonialistische Rasseneinteilung prägten. Nicht zuletzt liest sie aber auch von alltäglichen Strukturen und Problemen, etwa von einem Pfarrer, der Enthaltsamkeit predigt, während er die Schülerinnen zum Ausziehen zwingt, von Regenmacherinnen oder ersten, ängstlich erwarteten Regelblutungen. So gelinge es der Autorin, den grausam-abstrakten Vorstellungen des Völkermordes ein konkretes, alltägliches Gesicht zu verleihen, lobt die Rezensentin, die deshalb auch die ein wenig zu "flach" geratene Figurenzeichnung und bisweilen durchblitzende Schulmeister-Manier gerne verzeiht. 



Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.09.2014
Mit Interesse hat Angela Schader diesen Roman der ruandischen Autorin Scholastique Mukasonga, die in ihm auf den Völkermord vor zwanzig Jahren zurückblickt. Mukasonga erzählt von zwei Tutsi-Schwestern, die in ihrem kirchlichen Internat miterleben, wie Hass, Politik und Propaganda zur großen Katastrophe führen. Manchmal erscheint das der Rezensentin etwas forciert, auch stolpert sie mitunter über etwas stumpfe Erzählinstrumente, doch wenn die Autorin beschreibt, wie zwanglos die Schülerinnen zwischen europäischen Normen und afrikanischer Identität hin und her wechseln, dann ist sie ebenso gefesselt wie von den differenziert gezeichneten Figuren, deren "farbige Assemblage" nicht darüber hinwegtäuschen kann, welches Gewaltpotenzial hier unterschwellig brodelt.










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